Hexensabbat
Sie hatte ihren Plan umgeworfen. Zuerst würde sie telefonieren, aber nicht von einer Telefonzelle aus, sie fuhr zu Marie. Es gab Gespräche, für die ein Glaskasten mitten im Verkehrslärm und mit Leuten davor, die ungeduldig gegen die Scheibe pochten, einfach nicht der richtige Rahmen war.
»Kann ich mal bei dir telefonieren?« Anna hatte Glück, Marie war schon zu Hause.
»Hat Till die Telefonrechnung nicht bezahlt?«
»Sag ich dir später.«
»Bedien dich.«
»Danke.« Anna ging in Maries Arbeitszimmer. Das Telefon war noch einer von den altmodischen Apparaten mit Wählscheibe; zweimal verwählte Anna sich, sie war einfach zu sehr an die modernen Tastentelefone gewöhnt.
»Hotel Elysee. Guten Tag.«
»Guten Tag. Verbinden Sie mich bitte mit Herrn Liebold.«
»Einen Moment, bitte.« Musik wurde eingespielt, dann der Hörer abgehoben. »Liebold«, meldete sich eine Stimme, aber es war nicht Tills Stimme, es war eine Frauenstimme.
»Liebold?« fragte Anna.
»Ja«, bestätigte die Stimme. »Sie wünschen bitte?«
»Meinen Mann.«
»Sie sind …?«
»Frau Liebold«, sagte Anna. »Frau Liebold die Erste.«
»Einen Augenblick, bitte.«
Anna hörte mehrmals ein gedämpftes »Till«. Sie sah die Szene vor sich, hinterher schlief Till immer wie ein Sack. Es schien geklappt zu haben, er hatte ihr den Hengst gemacht und schnorchelte jetzt wie ein Toter. »Ich bedauere …«, setzte die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung an. »Bemühen Sie sich nicht weiter«, unterbrach Anna sie, »und noch viel Vergnügen mit meinem Mann.« Dann legte sie auf.
Anna hatte vergessen, weshalb sie eigentlich angerufen hatte. Sie hatte Till unter Strom setzen wollen – »sollen wir die Tür von deinem Zimmer aufbrechen, um an das Scheißtelefon zu kommen?« Jetzt kauerte sie auf der Kante von Maries Schreibtisch und grübelte, zu wem diese Stimme gehörte. Es war weder die von Ramona noch die der Blumenfee gewesen. Nummer drei also, vielleicht die Weiß-Blonde vom Betriebsfest, zum Ausgleich mal eine Alte, die waren dankbar für wenig. »Frau beißt Mann Penisspitze ab!«, die Schlagzeile war noch gar nicht so alt. Anna würde ihm nichts abbeißen, allein die Vorstellung war zum Kotzen. Immerhin, es würde nicht viel mehr von ihm übrigbleiben. Ein Schwanz war sozusagen das Herzstück jedes Mannes, daran hingen Müllmänner wie Manager. Sie würde sich um Tills Herzstück kümmern, und wie sie sich kümmern würde, sein Schwanz würde den gerechten Lohn empfangen. Und sein Schwanz, das war er, ein paar aufgeplusterte Blutgefäße und immer öfter Halbmast …
»Bist du einem Geist begegnet?« fragte Marie.
»Dem Gespenst von Tills Pimmel.«
»Ist er so gewaltig?«
»Im Gegenteil«, antwortete Anna, »er geht gegen Null.«
»Na dann …«
»Eben!«
Fünf auf einen Streich
»Sie?«
»Mit mir haben Sie offenbar nicht gerechnet?« Anna sah auf das Mädchen hinter der Ladentheke, das gerade weiße Tulpen zu einem Strauß zusammenband. Die Bastrolle fiel ihr aus der Hand und rollte über die Erde bis vor Annas Füße, fast hätte ihr das Mädchen leid getan.
»Nein, mit Ihnen habe ich nicht gerechnet«, sagte das Mädchen und bückte sich nach der Bastrolle.
»Aber mit meinem Mann?«
»Vielleicht.«
»Auf ihn brauchen Sie nicht zu warten. Sie sind nicht die einzige für ihn.«
»Ich weiß.«
»Sie wissen?«
»Meine Cousine hat es mir gesagt.«
»Wieso Ihre Cousine?«
»Sie war es doch. Till hat sie auf Karneval kennengelernt, sie kommt auch aus Odenkirchen, sie war nur die paar Tage hier. Till wollte sie am Aschermittwoch früh zur Bahn fahren, und da ist es passiert. Oben in meinem Zimmer, während ich hier unten gearbeitet habe.«
»Nummer vier!«
»Wie?«
»Plus Ehefrau. Mein Mann hat eine Ehefrau und vier Geliebte, das ist der aktuelle Stand.«
»Sie sind verrückt.«
»Wieso ich?«
»Till hat gesagt, daß Sie sich manchmal komische Sachen ausdenken.«
»Und das glauben Sie?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts mehr.«
»Hier.« Anna legte den Zettel mit der Telefonnummer vom ‹Elysee› auf die Ladentheke. »Rufen Sie da an.«
»Was ist das?«
»Rufen Sie an! Ich habe angerufen, und es hat sich Frau Liebold gemeldet.«
»Das sind Sie doch.«
»Eben.«
»Aber er ist kein, ich meine …« Das Mädchen verhaspelte sich und schwieg dann, ihr Gesicht war plötzlich hochrot, und das Rot zog in ungleichmäßigen Zacken ihren dünnen Kinderhals hinab bis in den Ausschnitt des grünen
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