Hexensabbat
Kaffee dazu trinken und die Zeitung lesen, sie hatte heute noch keinen einzigen Blick in den Stadtanzeiger geworfen.
Sie fing mit dem politischen Teil an, es gab niemanden mehr, der ihr den vorenthielt oder vorlas. Ob Till nun seine Tussis vorlesenderweise beglückte? Ihr sollte das eigentlich egal sein. Sie arbeitete sich gründlich durch das Blatt, Seite für Seite, es lenkte sie ab. Zwischendurch brühte sie sich noch einen Kaffee auf, sie hatte auch noch Hunger, der Bienenstich pappte ihr den Magen zu.
Sie sollte sich besser ihren Salat zubereiten, bevor der endgültig schlappmachte. Aber sie hatte keine Lust, Salat zu putzen und zu waschen und kleinzuschnippeln. Eigentlich hatte sie nicht einmal Lust, sich gesittet mit einem Besteck hinzusetzen und etwas Ordentliches zu essen. Sie klappte den Vorratsschrank auf, aber darin sah es bis auf ein paar Tüten Mehl und Zucker kahl aus. Sie nahm sich das letzte Paket Sultaninen heraus und kippte sich im Gehen eine Handvoll in den Mund, es schmeckte schrecklich süß.
Anna setzte sich wieder an den Eßtisch und schlug den Block »Blick« auf. Blick wohin? Sie las etwas über die »Kunst königlicher Diskretion« und fragte sich, was die Leute so interessant am Klatsch über Königshäuser fanden. Auf dem Foto, das dazu gehörte, sah sie einen dicklichen Monarchen im Polohemd, Arm in Arm mit »Dolce Paola«, solche Hüften würde Ramona auch bald haben. Nur war Ramona keine Königin, und garantiert hatte sie auch nie ein Sänger wie Adamo als »süße Prinzessin« angeschmachtet. Falls Till Ramona anschmachtete, so war Anna schleierhaft, warum. Früher mochten solche Figuren »in« gewesen sein, womöglich wirkte diese Birnenform auch mütterlich auf Männer. Aber Till war zugleich ein Ästhet, Annas Haar brauchte nur einen Zentimeter zu weit ins Gesicht gefallen sein, und schon hatte er sich drangehalten: »Du mußt zum Friseur.« Und nun hatte er eine mit Haaren bis zum Hintern, die Haarspitzen splissig und der Hintern breit. Alles an dieser Frau war ein bißchen überzogen, sie sprach zu laut und zog sich zu grell an, ihre Einrichtung war genauso, sehr helle schien sie auch nicht zu sein. Anna hatte eben bewußt »mein Mann« gesagt, aber diese Frau war darüber hinweggegangen und hatte von Till gesprochen, als wäre der schon in ihren Besitz übergegangen. Entweder sie war strohdumm oder sehr raffiniert oder ihrer Sache sehr sicher.
Anna glitt mit den Augen zum nächsten Foto, es war auf derselben Seite, doch es gehörte zu einem anderen Artikel. Unter dem Foto der langmähnigen jungen Frau in Mannequin-Pose las sie: »Radikale Feministin jetzt auch in Köln.« Sahen so neuerdings Frauenrechtlerinnen aus? Anna trug noch immer das Bild von frei pendelnden Brüsten in viel Lila und mit herausgewachsener Krauswelle über naturbleichen Gesichtern in sich, lesbisch angehaucht, mit kurzgeschorenen Köpfen. Sie hatte an der Uni einen Bogen um diese Frauen gemacht, dort hatte es sie noch massenhaft gegeben, meistens mit irgendeinem Aufruf in der Hand, den sie verteilten. In der Ausstellung neulich zum Thema »Frauenkunst« waren sie auch gewesen, nur inzwischen schwarz gekleidet statt lila und etwas älter, aber ansonsten war der Unterschied nicht groß gewesen. Und Annas Reaktion war dieselbe gewesen: nur weg! Sie erklärte es sich damit, daß sie schon immer eine Einzelgängerin gewesen war.
Der Zeitungsartikel hier las sich wie eine Kampfansage mit Puderdose und Stöckelschuhen. »Frauen können Opfer und Täter sein«, behauptete die amerikanische Autorin einen Absatz weiter, das klang schon interessanter. Heute abend las sie in Köln, die Karte kostete zehn Mark. Anna überlegte, ob sie hingehen sollte, nur so aus Spaß, vielleicht ging Marie mit.
Sie wollte Marie anrufen und stand schon neben dem Aufladegerät des Telefons, sie starrte auf die leere Fläche; sie mußte von unterwegs anrufen. Aber Marie hatte keine Lust. »Komm doch in unsere Kneipe, wir haben heute unseren Stammtisch.« Anna sagte »vielleicht später«, sie hatte das Gefühl, sie sollte zu dieser Lesung gehen.
Die Autorin Naomi Wolf war noch nicht in Erscheinung getreten. Vielleicht hatte sie auch einen Blick in den Saal getan und war geflüchtet; es wäre verständlich gewesen. Anna wäre auch liebend gern wieder abgehauen, eingerahmt von rund dreihundert Kölner Feministinnen fühlte sie sich sehr unbehaglich. Egal, wie hübsch und weiblich sich diese Naomi und ihre amerikanischen Fans geben
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