Hexensabbat
vor der Tür?«
»Da bin ich durchgedreht. Vor allem wegen meinem Sohn.
Man darf kleine Kinder einfach nicht belügen. Das verwinden sie nie, und später werden sie selbst notorische Lügner.«
»Dich scheinen sie als Kind oft belogen zu haben.«
»Wieso?«
»Weil du ständig lügst. Glaubst du, ich hätte Till gestern mittag nicht bei dir verschwinden sehen? Mittags hast du ihn nicht weggeschickt.«
»Ich mag ihn eben noch immer«, schluchzte Ramona. Offenbar gab es für sie wirklich nur diese beiden Extreme: Heulen oder Krakeelen, Anna hätte ihr liebend gern eine gescheuert.
»Das versteh’ ich«, schaltete sich da Andrea ein. »Irgendwie mag ich ihn auch noch immer.«
»Seid ihr beide meschugge?« Anna strich sich über die Stirn. Es war heiß hier drin. Bei ihr war das etwas anderes, wenn sie gelegentlich ein komisches Gefühl im Bauch bekam. Sie war schließlich über zehn Jahre mit Till verheiratet, das schweißte zusammen und zerrte an einem, wenn es auseinanderbrach.
»Er war sogar nett zu Rüben«, sagte Ramona. »Sonst war nie jemand nett zu meinem Sohn.«
»Till ist ein Blender. In Wahrheit findet er Kinder nur lästig.« Anna wußte es besser als diese Person, die sich von einem Plastikflieger oder einem Lolli irreführen ließ. Till hatte ein paar Mark in eine ungestörte Liebesstunde investiert, das war alles. Von wegen Kinderliebe!
»Vielleicht ist er ein Blender.« Andrea fummelte an ihrem Goldkettchen und zog es über die Unterlippe, »aber es ist himmlisch, sich fünf Minuten als Traumfrau zu fühlen, auch wenn er es gar nicht ernst meint. Er kann es ja nicht ernst gemeint haben, nicht bei jeder von uns und noch bei ein paar anderen, bei meiner Cousine zum Beispiel. Die hat er nur ein paar Stunden gekannt, und trotzdem hat sie ihm abgenommen, daß er total in sie verknallt ist. Es war wie ein Erdbeben, hat sie zu mir gesagt.«
»Till fabriziert Erdbeben am laufenden Meter, darin ist er King. Er liebt es, wenn es rund um ihn wackelt und bebt. Das macht ihn wichtig. Aber wehe, er wackelt mit, dann ist finito, Schluß, aus, und er sucht das Weite. Er ist ein Wichtigtuer. Da müssen wir ihn packen. Bei seiner gottverdammten Wichtigtuerei.«
»Ich bring’s nicht, ihn wieder wegzuschicken. Eher bringe ich mich um.« Ramona schniefte laut, jetzt drehten sich tatsächlich zwei Leute um.
»Nimm dich zusammen«, fuhr Anna sie an. »Du darfst ihn empfangen, sogar zuckersüß, aber wir anderen sind dabei, denk daran.«
»Dabei?« fragte Ramona.
Sie hat ein törichtes Gesicht, dachte Anna, wie kann eine nur so naiv sein? Stellt sie sich vor, wir legen uns unter ihr Bett? »Als Komplizinnen«, sagte sie, »vergiß nicht, du hängst jetzt mit drin. Till würde sowieso kein Wort mehr mit dir reden, mit keiner von uns, wenn er von unserem Komplott erführe.«
»Und ich kann auch mit ihm …?« Weiter redete Ramona nicht, diesmal hatte sie sogar ausgesprochen leise geredet, es war fast ein Flüstern gewesen.
»Bumsen«, ergänzte Anna, die Dame zwei Tische weiter klirrte laut mit dem Kaffeelöffel. »Ja, du sollst sogar. Nimm ihn ran, bestürm ihn, mach ihn heiß, das liebt er. Und dann reden wir weiter.«
Es wäre normal gewesen, wenn Ramona gefragt hätte »wie weiter?«, aber sie fragte nichts und nickte nur. Anna wußte auch so Bescheid: Diese Frau malte sich aus, wie sie Till mit Liebespower neu anstacheln könnte. Bei dem Gedanken, wie Till üblicherweise auf Powerfrauen reagierte, mußte Anna grinsen. Halbmast! Es hatte Vorteile, als Ehefrau in den Kampf zu ziehen. Als Ehefrau besaß sie ein sehr ausgesuchtes Waffenarsenal.
»Und ich?« fragte Andrea.
»Du machst es genauso. Er wollte ein halbes Dutzend Frauen haben. Er kriegt sie. Nur nicht einzeln und heimlich, wir servieren ihm ein komplettes Menü, eine Freßorgie, eine Liebeslust-Freß-Orgie, und dann …« Anna blinzelte Andrea zu, die wußte Bescheid. Ramona wußte vielleicht auch Bescheid. Es war nicht gesagt, daß Till bei ihr noch nicht abgeschlafft war, aber natürlich würde sie es nicht zugeben. Sie war eine Heimtückerin. Sie war auch nicht besonders helle, und das war gut so.
Ostereier und Jet-set
»Für mich?« fragte Anna.
»Für dich«, antwortete Till. Er hielt ihr das Riesen-Osterei hin, außen Schokolade und innen Pralinen, das Ei war mit pistaziengrüner Folie und einer dicken Schleife umwickelt. »Frohe Ostern.«
Anna nahm das Ei in die Hand und begutachtete das Etikett. Es war von einer teuren Konditorei,
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