Hexenseelen - Roman
sagen musste. Wenigstens das klappte ohne Umstände. »Ich kann deine Sicherheit nicht mehr gewährleisten, deshalb ist es besser, wenn du mit deinen Metamorph-Freunden gehst. Du musst weg von hier. Dich verstecken, damit Oya dich nicht findet.«
Conrad presste in Gedanken die Zähne zusammen. Egal, wie es um die Welt stand, ob diese zum Spielzeug
einer Mächtigen wurde oder nicht - Ylva durfte nicht in Oyas Klauen gelangen. Hierzubleiben bedeutete das sichere Ende für sie. Sie musste fort. Zu einer Gemeinde, die sich in keine Belange der Welt einmischte, die keinerlei Verbindungen zu den alten Göttern pflegte - in eine andere Stadt, in ein anderes Land. Und vor allem: so weit wie möglich weg von ihm.
Je länger er redete, desto leichter fiel es ihm, sich von seinen Gefühlen, von der ganzen Welt, in der es Ylva gab und in der er sich lebendig fühlte, abzuschotten. Zu dieser Welt durfte er nicht mehr gehören. Und war es nicht von Anfang an Selbstbetrug gewesen zu glauben, er könne in irgendeiner Zeit, an irgendeinem Ort seinen Frieden finden? Verfluchte besaßen kein Recht auf Glück. Das hätte er nicht vergessen dürfen, dann wäre es jetzt nicht so schmerzhaft, darauf zu verzichten.
Es gab keine andere Möglichkeit. Wenn Oya es auf ihn abgesehen hatte, würde sie nicht aufhören, bis sie ihn ganz am Boden wusste. Durch die Hände ihrer Handlanger hatte sie ihn gefoltert, ihm das Augenlicht genommen, aber wenn sie ihn wirklich zerstören wollte, brauchte sie nur Ylva etwas anzutun. Schon allein das Wissen, dass die Hexe dies jederzeit tun konnte und er außerstande war, es zu verhindern, machte ihn rasend und unendlich verzweifelt.
Irgendwann hörte er auf zu reden. Sein Mund fühlte sich trocken an, als hätte er stundenlang gesprochen und doch immer nur das Gleiche gesagt.
Ylva antwortete nicht. Würde er sie nicht spüren,
könnte er denken, sie hätte sich in der Schwärze, die ihn umgab, aufgelöst. Conrad verbot sich, eine Verbindung zu ihrem Âjnâ herzustellen. Was auch immer in ihr vorging, er musste sie damit allein lassen und einfach darauf warten, dass sie etwas zu ihm sagte. Er hoffte, sie würde noch etwas sagen, bevor sie ging. Damit er sich an ihre Stimme erinnern konnte, wenn er ihrer Nähe beraubt sein würde, wenn ihm nichts mehr blieb als die Dunkelheit, die er früher so begrüßt hatte, nun aber über alles fürchtete.
Aber Ylva sagte nichts, und er fragte sich, ob er sich das Gefühl ihrer Nähe nur einbildete. Ob sie in Wirklichkeit schon längst fort war.
Nein! Ihr stummer Ausruf stach in die Mitte seiner Stirn, als hätte sich ein Eiszapfen in seinen Schädel gebohrt. Er keuchte und rieb sich die Stelle, obwohl die Kälte täuschte, weil sein Gehirn die Telepathie-Eindrücke einfach nicht anders als durch physische Empfindungen zu verarbeiten wusste.
»Ylva?«
Stille.
Leere.
Schwärze.
»Ylva? Ist alles in Ordnung?« Conrad tastete durch die Finsternis und spürte, wie seine Hände zu zittern begannen. Mit einem Ellbogen schlug er gegen einen Bettpfosten, ignorierte den stechenden Schmerz, der seinen Arm emporschoss, und kniete sich nieder. »Ylva, antworte mir, bitte!«
Sein Âjnâ schien zu pulsieren, ihn warnen zu wollen. Irgendetwas ging im Zimmer vor, er musste es nicht sehen, um die Gefahr wahrzunehmen. Die Dunkelheit, die ihn umgab, schien lebendig zu werden und ihre Tentakel nach ihm auszustrecken. Er zuckte zusammen und fuhr herum.
»Ylva? Bitte, sag etwas! Was passiert hier?«
Die Finsternis lebte auf. Sie gierte, lechzte, spielte mit ihm und seiner Angst. Sie drang in ihn ein und wühlte in seiner Seele nach Erinnerungen, die ihn zerrissen, die er so weit wie möglich zu verdrängen versuchte.
»Nein!« Er hob abwehrend die Hände, schlug gegen das Unsichtbare, das ihn in Besitz nehmen wollte. Die Finsternis lachte, rückte auf ihn zu und wich im nächsten Moment ein Stück zurück, verhöhnte seine Hilflosigkeit. Bis das Spiel abrupt endete und etwas endgültig in seine Seele vorstieß, um sie in der Dunkelheit zu ertränken.
Bilder explodierten in seinem Kopf: das brennende Blumengeschäft, Ylva, die Angreifer … Der Film lief vor ihm mit einer berauschenden Geschwindigkeit ab. Plötzlich war es kein Film mehr und er - kein Zuschauer. Er befand sich mittendrin. Gefesselt und halbtot von der stundenlangen Folter, nur mit einem Funken Lebenskraft und voll der Gier, die in seinem gemarterten Leib tobte, nach Nahrung suchte und nichts fand, was dieses
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