Hexenseelen - Roman
es würde alles gut werden. Unbedingt.
»Dann hättest du die Tür nicht aufmachen sollen«, stammelte sie. Sie schmiegte sich an ihn, trotz des Schauders, den der Hauch des Todes ihr über den Rücken sandte. Seine Stimme allein reichte ihr nicht mehr aus, sie musste seinen Atem auf ihrer Haut spüren, seinen Herzschlag hören.
»Vielleicht solltest du wirklich gehen, vielleicht bist du
bei deinen Metamorph-Freunden sicherer, denn ich kann dich nicht beschützen.«
»Dann hättest du die Tür nicht aufmachen sollen«, wiederholte sie mit Nachdruck und umarmte ihn noch fester. »Denn jetzt wird mich nichts mehr von dir fortbringen können.«
Seine Nähe gab ihr die Zuversicht, dass sie aufhören konnte, um ihn zu bangen. Sie ließ von ihm ab, aber so ganz konnte sie ihn doch nicht freigeben. So suchte sie nach seinen Händen, um ihre Finger mit den seinen zu verflechten. Bis sie an seiner Linken eine leere Stelle ertastete, wo früher sein kleiner Finger gewesen war. Wieder flackerte das Bild seiner blutüberströmten Hand in ihrem Hirn auf, und sie hörte die Worte, die er einst zu ihr gesagt hatte: Wir sind nun einmal nicht unverwundbar, uns wachsen keine neuen Organe nach.
Etwas schnürte ihr die Luft ab. Nie hätte sie geglaubt, wie sehr der längst ertragene, bereits vergangene Schmerz eines anderen wehtun konnte. Sie taumelte ein paar Schritte zurück. Rolands Stimme erklang in ihrer Erinnerung, als stünde ihr untoter Freund neben ihr: Er ist nicht mehr der Conrad, den wir kannten, und damit muss vor allem er selbst klarkommen.
Kann er das?, fragte sie sich. Kann ich das? Seine Hand berühren und nicht diesen Kummer empfinden? Zögernd ertastete sie die Stelle erneut, und alles zog sich in ihr zusammen vor Schmerz.
Ich kann das nicht!, pochte es glühend heiß in ihr. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.
»Das ist …«
»Sag nicht, das wäre nichts, weil du immer noch … funktionierst!«, brauste Ylva auf und biss sich sogleich auf die Lippe.
»Das ist nichts«, sagte er trotzdem, so ruhig, gefasst und beinahe tonlos, dass Ylva auf eine seltsame Weise den Drang verspürte, ihn auf keinen Fall ausreden zu lassen. »Weil ich blind bin.«
Ylva zählte ihre Herzschläge.
Sie hielt sich am Bettpfosten fest, aber auch er konnte sie nicht stützen. Ihre Beine gaben nach, und sie ließ sich auf dem Bett nieder. Erst jetzt bemerkte sie die Sonnenbrille, die er trug, aber in dem verdunkelten Zimmer nicht hätte tragen müssen. Sie wollte etwas sagen, aber kein menschlicher Ton drang aus ihrer Kehle, nur ein verstörtes Fiepen.
Ich kann das nicht …
Hatte sie es gesagt? Oder so durchdringend gedacht, dass ihre Verzweiflung fast greifbar wurde?
»Nein, musst du auch nicht. Ich kann deine Sicherheit nicht mehr gewährleisten, deshalb ist es besser …« Er redete. Irgendetwas, was einem gleichmäßigen Rauschen ähnelte.
Hatte er ihren Gedanken vernommen oder nur irgendwie erahnt, was in ihr vorging? Vielleicht an ihrem Zustand geseh… nein. Natürlich nicht. Er würde nie mehr etwas sehen. Nie mehr.
Conrad sprach weiter, doch der Sinn dessen, was er sagte, entglitt Ylva immer wieder. Was redete er da bloß?
Er könne sie nicht beschützen … Er wäre nicht mehr in der Lage, Verantwortung für andere zu übernehmen …
Still, er sollte endlich still sein! Ylva wollte ihn zum Schweigen bringen und wusste nicht wie. Mit einer Umarmung, die er als Mitleid deuten würde? Mit tröstenden Worten, die sein Stolz verschmähen würde? Du bist ein Idiot, beschwor sie ihn stumm. Mein lieber, unbezwingbarer, wundersamer Idiot, der seine Aufgabe darin sieht, für andere da zu sein, und es jetzt nicht mehr kann.
Immer sachlicher, immer distanzierter wurde sein Ton. Jetzt entglitt ihr nicht nur der Sinn von Conrads Rede, sondern er selbst. Zwar befanden sie sich noch im selben Zimmer, und sie brauchte nur ihren Arm auszustrecken, um ihn zu berühren, doch die Tür zu sich hatte er wieder verriegelt.
Was soll ich nur machen?, dachte Ylva und fand keine Antwort. Der Dämon vermochte ihr den Verstand zurückzugeben, ihr zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Ausdrücke zuzuflüstern, aber mehr Einfühlungsvermögen, mehr Feingefühl würde er ihr nicht schenken können. Eine Ratte blieb nun einmal eine Ratte. Was hatte sie sich erhofft, als sie zu seiner Tür gelaufen war, als sie daran geklopft und nach ihm gerufen hatte? Hatte sie wirklich geglaubt, sie könne ihm helfen? Sie, das Rattenmädchen?
Erst
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