Hexenseelen - Roman
bis sie ein zaghaftes »Conrad?« zustande brachte.
Sogleich schienen die Schreckgespenster sie abermals zu belagern und anzuklagen: Du hast gewusst, was uns hier erwartet . Für deinen Totenküsser mussten wir unser Leben lassen.
Wie kannst du ihn lieben?, strich es durch ihren Kopf. Wissen, zu welchem Preis er existiert, und ihn trotzdem lieben?
»Conrad?« Ihre Stimme bebte.
Ylva vernahm ein Geräusch, als würde er sich gegen die Tür lehnen. Sie glaubte sogar zu hören, wie er mit den Fingern über das Holz fuhr. Aber er antwortete nicht.
Roland betrat den Korridor. Einige Minuten beobachtete er sie, bis er schließlich sagte: »Ich habe dir etwas zu essen mitgebracht. Du solltest wirklich langsam damit anfangen, regelmäßig Nahrung zu dir zu nehmen.«
Ylva rührte sich nicht. So musste er ihr helfen und sie sanft, aber bestimmt, von der Tür fortführen.
»Was ist mit ihm?«, wagte sie in ihrem Zimmer zu fragen, dankbar dafür, dass sie Roland hatte, der sich um sie kümmerte.
»Ich glaube, er will im Moment einfach keinen seh…« Roland erblasste und sprach rasch weiter: »Er braucht seine Ruhe, verstehst du? Es ist nicht deinetwegen. Er ist nicht mehr der Conrad, den wir kannten, und damit muss vor allem er selbst klarkommen.«
»Wird er das?«
Zuerst dachte sie, er würde nicht antworten, weil in der Villa anscheinend eine böse Krankheit umging, die Antworten auf einige Fragen verbot. Doch er sagte schlicht: »Natürlich. Wir reden hier doch von Conrad.«
Ein paar Tage ließ Ylva ihn in Ruhe, obwohl es sie Überwindung kostete. Obwohl sie regelmäßig zu seiner Tür pilgerte, um zu warten.
Dann wurde sie des Wartens überdrüssig, sie klopfte. Sie klopfte immer öfter, immer wütender und rief ununterbrochen nach ihm. Schließlich begann sie, gegen das Holz zu trommeln und zu schimpfen, bis ihre Fäuste schmerzten und ihr Hals sich wund anfühlte. Dann verließen sie der Zorn und der Eifer. Sie fühlte sich leer. Sie musste gehen.
Entkräftet lehnte sie sich gegen den Türrahmen. »Ich kann das nicht. Ich weiß, ich habe kein Recht, von dir etwas zu verlangen, du musst mich nicht in dein Leben einlassen. Aber ich ertrage es nicht, wenn du mich aussperrst. Bitte verzeih mir. Ich … ich werde gehen. Mit Micaela, so wie sie es gesagt hat, zu einer anderen Königin. Aber bevor ich gehe, möchte ich mit dir wenigstens reden. Hörst du? Nur reden.«
Die eigenen Worte erschreckten sie. Ob sie es wirklich tun würde, einfach so gehen? Ylva lauschte den kaum wahrnehmbaren Geräuschen aus dem Zimmer und verbot sich zu weinen. Sie hatte in den letzten Tagen so oft geweint, dass es eigentlich keine Tränen mehr geben durfte. Und dennoch rann ihr das warme Nass über die Wangen. »Bitte. Nur reden. Ich will nicht … so gehen müssen.«
Ich will überhaupt nicht gehen, hätte sie am liebsten gesagt. Aber du lässt mich ja nicht bleiben.
Sie hörte nur seinen Atem. Mehr nicht. Aber das allein konnte sie nicht mehr hierhalten.
Ylva löste sich von der Tür und schlurfte den Korridor entlang. Ein paar Meter, nicht mehr, dann hörte sie, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte.
Einige Augenblicke später stand Ylva auf der Schwelle, ohne zu wissen, wie sie dorthin gelangt war. Ob sie geschlichen oder gelaufen war. Doch etwas hinderte sie daran, weiterzugehen, etwas, was sie nicht benennen konnte.
Schwere Gardinen verdunkelten das Zimmer. Dazu ließ sie ihre Sehkraft, die nicht zu den besten zählte, im
Stich. So bestand der Raum nur noch aus Silhouetten, aus dem Realen und Nichtrealen: dem Mobiliar, den klagenden Geistern, den Bildern in den schweren Rahmen und … Conrad.
Ylva hatte sich zuvor keine Gedanken darüber gemacht, was sie ihm eigentlich sagen sollte. Sie hatte sich nie gefragt, wie sie ihm begegnen durfte. Jetzt war ihr Kopf leer, ihr Körper fühlte sich fremd an, und sie wusste kaum, was sie mit all dem anfangen sollte.
Dann befand sie sich plötzlich neben Conrad, schlang ihre Arme um ihn und zog ihn an sich. Ihre Finger verkrallten sich in sein Hemd und taten weh, so fest wie sie die Fäuste ballte.
Um einiges sanfter, beinahe unsicher, legten sich Conrads Hände auf ihren Rücken, und er lehnte sich mit seiner Wange an die ihre.
»Ich dachte, du wolltest nur reden«, sagte er auf seine gewohnt leise und gedehnte Art, und Ylva verkrampfte sich noch mehr. Erst jetzt wurde ihr klar, wie viel Angst sie gehabt hatte, seine Stimme nie wieder zu hören. Aber er war hier, bei ihr, und
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