Hexenseelen - Roman
Zumal etwas in ihrem Ton mitschwang, was ihn den Hass, der zwischen ihnen lag, für eine Sekunde vergessen ließ. Als spräche nicht die Königin der Metamorph-Gemeinde zu ihm, sondern die junge Frau, die er einst gut zu kennen glaubte. Die Einzige, deren Berührungen er ertragen konnte. Bis die Wahrheit ans Licht gekommen war und jeden Funken der Vertrautheit zwischen ihnen ausgelöscht hatte.
Langsam drehte er sich um. Die Nachzehrer hatten eine Gasse gebildet, und er wünschte sich, sie hätten es nicht getan. Denn nun sah er Linnea direkt an.
In all den Jahren hatte sie sich kaum verändert. Schlank und zierlich wirkte ihre Gestalt. Das bronzefarbene, hüftlange Haar war zu einem Zopf geflochten, aus dem sich einige Strähnen gelöst hatten. Die blassgrünen Augen schauten blind durch ihn hindurch, doch er wusste: Sie sah ihn trotzdem - auf ihre eigene Weise.
Er musste etwas sagen, spürte, wie seine Lippen sich bewegten und Worte hervorbrachten - ganz andere, als die, die ihm in Wirklichkeit am Herzen lagen und es zu zerdrücken schienen. »Womit kann ich Ihnen dienen?«
Ein Lächeln huschte über ihre Züge. Feine Fältchen, die früher nicht da waren, legten sich um ihren Mund und ihre Augen. Auf den ersten Blick wirkte sie wie Mitte zwanzig, aber bei näherer Betrachtung sah man ihr die Jahre an. »Ach, Conrad, warum so offiziell?«
Sie spielte mit ihm, genauso wie damals. Nur dass er ihr heute das Spiel ansah.
»Hätten Sie die Güte, mir Ihr Anliegen vorzutragen? Wir haben nicht so viel Zeit … Dear .« Der Spott hatte sie getroffen, das merkte er, obwohl sie versuchte, es nicht zu zeigen. Ihre Züge verhärteten sich. An der rechten Schläfe, die nicht vom Haar verdeckt war, pochte eine Ader. Wie immer, wenn sie nicht bekam, was sie wollte. Oder zumindest nicht sofort. »Wie es aussieht, werden wir hier nicht heil herauskommen, jedenfalls nicht, wenn jeder für sich kämpft. Zusammen hätten wir durchaus eine Chance, meinst du nicht auch?«
Der Vorschlag löste ein empörtes Murren auf beiden Seiten aus. Doch die Metamorphe waren gezwungen, ihrer Königin zu gehorchen.
Seine Leute hatten ihren eigenen Kopf.
»Es bleibt uns in der Tat nicht viel Zeit«, fuhr sie fort. »Wenn wir handeln wollen, müssen wir es sofort tun. Ich werde die da draußen ablenken, so tun, als ginge ich auf das Angebot ein und liefere ihnen Ylva aus. In dieser Zeit schlagen meine Leute und deine Kre…« Sie schluckte das Wort »Kreaturen« hinunter und schob schnell hinterher: »Untoten zu.«
Die Situation rettete das keineswegs. Mit einem Sprung gelangte Rivas zu ihr und schloss beide Hände um ihren Hals. »Du hast mir zwar meine Rechte zertrümmert, aber ich wette, ich schaffe es trotzdem, dir das Genick zu brechen«, zischte er, sichtlich bemüht, es nicht gleich auf der Stelle zu tun, und warf Conrad einen fragenden Blick
zu. Nur ein Nicken von seiner Seite - und dieses Biest läge ihm tot zu Füßen. So leicht wäre es gewesen, die Vergangenheit mit einem Mal auszulöschen. Noch dazu durch fremdes Einwirken.
Linnea wehrte sich nicht, und anscheinend hatte sie auch ihrem Gefolge verboten, sich einzumischen. Die Biester zitterten buchstäblich vor Anstrengung, stillzuhalten und tatenlos dem Überfall auf ihre Königin zuzusehen.
»Adrián«, raunte Linnea ihrem Angreifer entgegen, schaute dabei jedoch nicht ihn an, sondern Conrad. Ihre Gefasstheit zeugte von ihrer Überlegenheit. »Ich würde auch viel lieber dich zur Strecke bringen, aber meine Leute sind mir wichtiger als irgendwelche Rachegelüste. Und wie viel sind dir deine Freunde wert?«
Sie konnte schon immer und in jeder Situation genau ins Schwarze treffen. Ja, seine Mitstreiter waren ihm mehr wert als diese Vergeltung für das Leid der Vergangenheit.
»Rivas, lassen Sie die … Dame los«, er hätte nie geglaubt, wie schwer es sein würde, diese Worte tatsächlich auszusprechen. »Wir werden ihren Vorschlag annehmen.«
»Was?«, hauchte der Nachzehrer, senkte aber die Arme und trat zurück. »Sie wollen sich nicht mit dem Messias verbünden, aber mit diesen Biestern?«
»Wir verbünden uns nicht. Wir wollen nur hier herauskommen.«
Linnea züngelte. Als wollte sie herausschmecken, ob
die Lage zu ihren Gunsten ausfiel und wie sie die Situation für ihre Zwecke besser nutzen konnte. »Wenn ihr uns helft, mein Seelentier zu retten und Ylva in Sicherheit zu bringen, dann erzähle ich euch, was die Mächtige Oya plant. Denn das geht uns alle etwas an,
Weitere Kostenlose Bücher