Hexenseelen - Roman
Gläubige gewinnt. Und unter welchen Umständen werden Menschen gläubig? Wenn Angst, Leid und
Chaos ihr ganzes Leben erschüttern. Wenn weder Politiker noch die Polizei noch das Militär mit der Situation fertigwerden und die Zivilisation zugrunde geht. Ihrer Ideale und Sicherheiten beraubt, werden sie zu jedem beten, der Hilfe verspricht. Und der Hilfe leistet. Ich wette, Oya und ihre Götterschar werden sofort zur Stelle sein, wenn die Menschen von dem Chaos erst mürbe gemacht sind.«
»Aber Hamburg ist nicht die Welt.«
»Ich bin mir sicher, es ist nur ein kleines Feuer, das sich sehr schnell ausbreiten wird. Wenn wir die Schlacht hier verlieren, verlieren wir die Welt. Wir müssen diesen Erlöser aufhalten.«
»Müssen wir das?« Rivas verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick verfinsterte sich, seine ganze Haltung zeugte von Frustration und Ablehnung. »Ganz ehrlich, was kümmert es uns, an wen die Menschen glauben? Wir haben schon so einiges auf dieser Welt gesehen, werden noch vieles sehen und es überdauern. Warum sollten wir diese Angelegenheit zu unserem Problem machen?«
Conrad sah ihn von der Seite an. Wie viele es wohl noch gab, die so dachten wie dieser Nachzehrer? Auch wenn er an der Loyalität des Mannes keine Zweifel hegte. »Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich möchte gern selbst entscheiden, an wen ich glaube und wem ich folge. Mit Alfred hat der Messias uns seine Botschaft nur allzu deutlich übermittelt. Wer sich ihm nicht anschließt, wird vernichtet. Die Freiheit der Welt mag mir gleichgültig sein, aber die meiner Leute nicht.«
Rivas seufzte. »Da haben Sie Recht. Aber wie sollen wir vorgehen? Ich meine … wir sind nicht gerade viele.«
»Zuerst müssen wir herausfinden, wer dieser Erlöser ist. Ich habe darüber nachgedacht, und mir fällt dazu Folgendes ein: Dieser Nachzehrer muss relativ neu sein, denn kein erfahrener Untoter würde sich von sich aus auf einen Deal mit einer Mächtigen einlassen. Wir alle wissen, wie so etwas endet. Die Neulinge dagegen neigen oft dazu, nach einer Hexe zu suchen, um den Fluch von sich nehmen zu lassen. Oya braucht diesen Messias, um die Massen zu lenken, und ich schätze, dass sie nichts dem Zufall überlässt. Also müsste er …«
»Ein Verfluchter sein. Einer, der den Fluch nicht von seinem untoten Vater vererbt bekam, sondern durch eine Hexe mit ihm belegt wurde.«
Richtig, dachte Conrad verbittert. Einer, der mit der Erfüllung des Fluches Tausende in den Abgrund reißt. Der so voller Zorn ist, dass er nicht merkt, wie alles um ihn vor die Hunde geht. »Die Verfluchten bringen immer Seuchen mit sich«, sagte er und merkte selbst, wie schroff seine Stimme klang. »Das ist ein Teil ihres Fluches. Auch jetzt herrscht gerade eine.«
Rivas tippte sich an die Stirn. »Die Schweinegrippe, natürlich. Wieso ist mir das nicht aufgefallen? Allerdings verläuft sie ziemlich mild, wenn ich sie mit der Pest und anderen Epidemien vergleiche, die die Verfluchten früher mit sich gebracht haben. Wie viele Menschen sind in Deutschland an dem Virus gestorben?«
»Etwas über hundert, bis jetzt. Aber der Hexe geht es
auch nicht um die Anzahl der Toten. Panik hat sie damit genügend gestiftet. Wir haben allerdings keine Zeit zu verlieren. Zuerst müssen wir alles über diesen Messias in Erfahrung bringen, seine ganze Geschichte: sein Leben als Mensch, sein Tod, die erste Zeit nach der Auferstehung. Wir müssen seine Schwachpunkte kennen. Gleichzeitig brauchen wir Insiderinformationen über seine aktuellen Machenschaften. Das heißt …«
»Wir müssen jemanden aus den Reihen seiner Anhänger gefangennehmen.«
»Ganz genau. Ich würde sagen: Ich kümmere mich um die Recherchen, und Sie …«
»Ich übernehme die operative Arbeit.« Rivas klappte den Laptop zusammen. »Das mache ich eh am liebsten. Keine Sorge, ich werde mir schon jemanden schnappen, von dem wir mehr erfahren können.«
»Hervorragend. Ach ja, bevor Sie gehen: Nehmen Sie Ihre Großnichte mit. Bei Ihnen ist sie im Moment sicherer als hier, schätze ich.«
Rivas zögerte. »Wollen Sie immer noch, dass ich ihr Gedächtnis manipuliere? Damit sie sich an nichts mehr erinnert?«
»Das wäre das Beste für sie. Aber mir ist auch bekannt, wie Sie dazu stehen, und im Moment wissen anscheinend eh schon so einige Menschen von unserer Existenz. Wenn Sie sich für Ihre Verwandte verbürgen, können wir diese Entscheidung also noch etwas aufschieben.«
Sichtlich erleichtert nickte
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