Hexenseelen - Roman
der Nachzehrer. »Ich danke Ihnen.«
»Ich bin immer noch der Meinung, dass wir Ihrer Großnichte damit keinen Gefallen tun.« Conrad drehte sich um. Wenn Rivas ging, würde endlich etwas Ruhe einkehren. Normalerweise hatte er solche Momente immer begrüßt, aber jetzt wusste er nicht, was er mit seinen Gedanken, ja, mit sich selbst in der Einsamkeit anfangen sollte. Noch einmal erwog er, nach oben zu gehen, um auf Ylva aufzupassen, verwarf aber den Gedanken wieder. Er musste zu dem Mädchen auf Abstand bleiben. Das wäre das Beste für ihn, und auch die Kleine wäre sicherlich dankbar, seine Gesellschaft nicht ertragen zu müssen.
Das Glöckchen an der Tür klingelte, als Rivas sie aufmachte, doch der Nachzehrer ging nicht fort. »Wussten Sie, dass Evelyn eine Hexe ist?«
Conrad biss die Zähne zusammen. Auf der Zunge lag ihm ein abweisendes »Gehen Sie, Rivas«, wie immer, wenn die Rede auf seine Tochter kam. Doch er schluckte es hinunter. Erst nach einigen Herzschlägen spürte er, wie sich seine Kiefermuskeln etwas entspannten. Er sah den Mann an, der unschlüssig auf der Schwelle stand, seufzte, gab nach und winkte ihn herein.
In Situationen wie dieser pflegten Menschen sich Hochprozentiges einzuschenken und sich in trüber Melancholie zu suhlen, während sich ihr Hirn benebelte und alles, was sie bedrückte, dahinschwand. Den Untoten war das nicht vergönnt.
Conrad ging zu seinem Schaukelstuhl, der inmitten von üppigen Gewächsen stand, und stellte Rivas einen
Hocker hin. Anderes Mobiliar besaß er hier nicht, da er selten Besuch empfing, von den Kunden mal abgesehen.
Der Nachzehrer schien sich genauso unbehaglich zu fühlen, setzte sich aber. Auch Conrad nahm Platz. Immerhin konnten sie zumindest versuchen, so etwas wie ein Gespräch unter Freunden zu führen.
»Das mit der Hexe - haben Sie das gewusst?«, wiederholte Rivas. Er stützte die Ellbogen auf seine Oberschenkel und stemmte sein Kinn in die Handflächen, den Blick starr zu Boden gerichtet.
Conrad fiel es nicht leicht zu sprechen. »Ich habe es gespürt.«
Eine Weile sagte der Mann nichts mehr, dann drückte er den Rücken durch und ballte die Fäuste. »Warum habe ich es nicht gespürt? Wer, wenn nicht ich, hätte sie besser als jeder andere kennen müssen?«
Conrad wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Verdammt, er hätte dieses Gespräch nie zulassen dürfen, denn es verlangte ihm Reaktionen ab, die ihm fremd waren. Wie Trost zu spenden oder Beistand zu leisten. Etwas, was er nie erfahren hatte und nie geben konnte.
»Das vermag ich nicht zu beantworten«, sagte er, so sachlich wie möglich. »Vielleicht liegt es an der besonderen Bindung zwischen Vater und Tochter, was, zugegebenermaßen, irgendwie zu sentimental klingt. Oder ich bin alt genug, um Vorahnungen richtig zu deuten. In den meisten Fällen zumindest. Mit der Zeit wird das Âjnâ immer stärker. Und es bewirkt ein gutes Gespür für einige Sachen.« Wieder musste er an Ylva denken, an ihr
harsches »Ich habe keinen Vortrag gebucht«. Denn das hatte Rivas ebenso wenig. Nein, für solche Gespräche war er eindeutig der Falsche. Er sollte lieber wieder mit den Pflanzen reden, die erwarteten von ihm wenigstens nichts.
»Einmal sagten Sie, Evelyn würde mir niemals gehören. Meinten Sie … das damit?«
Conrad nickte, leicht verwundert darüber, dass der Mann trotzdem blieb und sich mit seiner Gesellschaft zufriedengab. »Ich wollte Sie warnen. Obwohl mir klar war, dass Sie nicht auf mich hören würden. Zumindest nicht in dem Moment.«
»Tja, vielleicht hätte ich das doch lieber tun sollen. Sie waren nicht der Einzige. Maria hat öfter gesagt, Evy und ich hätten keine Zukunft. Keine Basis für die Beziehung. Sie meinte sogar, es wäre nicht einmal Liebe, die uns verbindet, sondern eine Lüge, die wir einander eingetrichtert hätten.«
»Ich würde niemals so weit gehen, das zu behaupten.«
Was weiß ich schon von Liebe, hätte er gern hinzugefügt. Aber damit hätte das Gespräch endgültig Bahnen eingeschlagen, auf denen er sich nicht zu bewegen vermochte.
»Und was soll ich jetzt tun?«
Conrad sah überrascht auf und kräuselte die Stirn. »Sie wollen meinen Ratschlag in dieser Angelegenheit hören?«
»Ja. Warum denn nicht?«
Weil er absolut der Falsche für all das war. Weil er geglaubt
hatte, seine Gleichgültigkeit hätte jegliches Empfinden für den Kummer der anderen längst ausgelöscht, und merkte, wie etwas anderes die gewohnte Leere auszufüllen
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