Hexenseelen - Roman
jeder Nachzehrer dagegen machtlos. Zum Glück hat Conrad mich rechtzeitig gerufen.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Hm. Auftanken.«
»Er mordet?«
»Ylva, wenn du denkst, dass er es gern tut …«
»Im Moment denke ich gar nichts.« Sie ließ sich zu Boden sinken. Er würde immer eine Gefahr für sie bleiben. Er würde immer ein Mörder sein. Jetzt, in diesem Moment, tötete er vielleicht eine unschuldige Seele, um selbst weiter zu existieren. Sie fühlte sich schuldig … weil sie ihn trotzdem mochte.
Wenn sie an ihn dachte, dachte sie an sich selbst. An den Dämon, der sie ebenso zu Taten zwang, die ihr ein Gräuel waren. Sie konnte Conrad verstehen. Sie konnte mit ihm fühlen, aber würde sie irgendwann vergessen, zu welchem Preis er noch immer durch die Welt wanderte?
Stundenlang saß sie da, in Lethargie verfallen. Irgendwann hörte sie, wie Conrad in seinen Laden zurückkam, sie hörte Menschen, die ein und aus gingen, leise Gespräche, die kaum ihr Hirn erreichten.
Ein Teil von ihr wollte nach unten gehen und mit Conrad reden. Sagen, dass sie ihm keine Schuld gab. Ein
anderer Teil fürchtete sich aber davor zu lügen. Was, wenn sie ihn sehen und ihm nicht verzeihen konnte, was er war?
Zwischendurch brachte Roland etwas von einem Imbiss. Ylva stocherte eine Weile lustlos in dem Fraß herum, und jeder Bissen blieb ihr in der Kehle stecken. So ließ sie das Essen stehen. Erst am späten Nachmittag, als es bereits zu dämmern begann, meinte sie, genug Kraft gesammelt zu haben, um Conrad gegenüberzutreten. »Ich möchte mit ihm reden. Allein. Wäre das möglich?«
Erleichterung zeigte sich auf Rolands Gesicht. »Danke.«
»Danke? Wofür?«
»Dass du ihn zumindest nicht verteufelst. Er würde es sicherlich niemals zugeben, aber ich denke, das, was vorgefallen ist, zerreißt ihn.« Roland seufzte.
Ylva tat es ihm nach, bevor sie zur Tür ging. Die Ratte hockte auf ihrer Schulter, als würde sie ihr Mut zusprechen. Schweigend begleitete der Nachzehrer sie bis zum Laden und blieb dann vor dem Eingang stehen.
Ylva schlüpfte so vorsichtig durch die Ladentür, dass nicht einmal das Glöckchen erklang. Sie hörte Stimmen. Conrad und Linnea. Das hätte sie aufhalten müssen, und so vermochte sie sich kaum zu erklären, warum sie sich trotzdem in den Raum stahl, direkt auf eine Bambuswand zu, hinter der sie die beiden vermutete. Neben einer Palme, anderen Pflanzen und einer Reihe aufgestapelter Blumentöpfe versteckte sie sich.
Conrad und Linnea standen dicht nebeneinander, ohne
sich zu berühren. Das mussten sie auch nicht - die Nähe zwischen ihnen war spürbar.
Geh zurück, du hast hier nichts verloren , forderte Ylva sich auf.
Und blieb, jeder Vernunft zum Trotz, mit weichen Knien und pochendem Herzen.
»Ist es nicht seltsam«, sprach Linnea leise, und ihre Stimme bebte, »dass sich unsere Wege nach all den Jahren auf diese Weise kreuzen und wir jetzt so nebeneinander stehen? Ganz ohne Hass.«
Conrad beugte sich über einen Tisch und stützte sich mit beiden Händen auf, den Kopf gesenkt. »Ja, seltsam. Seltsam, dass du nicht versuchst, mich umzubringen. Wo du so viele Jahre hinter mir her warst, nur mit diesem einen Ziel.« Egal, wie sehr er sich auch bemühen mochte, seine Stimme klang nicht so distanziert wie sonst, sondern betroffen. Oder zumindest kam es Ylva so vor, und es verursachte ihr ein eigenartiges Ziehen in der Magengrube.
»Sag so etwas nicht. Ich bin eine Metamorph-Königin, und das verpflichtet. Ich musste meine Gemeinde schützen. Ich denke, das kannst du besser verstehen als jeder andere. Schließlich hast du dasselbe für deinen Clan getan. Es ist unser Fluch, für all die anderen, aber nicht für uns selbst da zu sein.«
»Ich habe es für meine Tochter getan. Unsere Tochter. Die du ebenfalls zu töten versucht hast. Deshalb frage ich dich noch einmal, Linnea: Was soll das? Meinst du, ich leide an Gedächtnisschwund, dass du jetzt auftauchst und von einem Uns redest?«
»Evelyn war … und ist … eine Nachzehrerin. Du hast ihr deinen Fluch vererbt. Und ich … nun, ich sah keine andere Möglichkeit, ich dachte …«
Von welcher Evelyn sprach die Schlangenfrau? Von der Hexe, die Alba erwähnt hatte? Ylva war schockiert. Und das nicht, weil seine Tochter zu den Mächtigen gehörte, sondern weil er überhaupt eine Tochter hatte. Von der Metamorph-Königin.
»Hör auf mit dem Spiel, Linnea. Was auch immer zwischen uns war, es ist vorbei. Sobald diese Sache mit dem Messias
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