Hexenseelen - Roman
Zeit wartete sie noch, ob er nicht zurückkommen würde, aber schließlich kroch sie aus ihrem Versteck und trat nach draußen.
Roland lehnte noch immer an der Wand. Erst als er Ylva bemerkte, stieß er sich ab und kam ihr entgegen. Eine Weile sagten sie beide nichts, bis er es anscheinend nicht länger aushielt und sich von seinen Lippen ein vorsichtiges »Und?« löste.
Ylva zuckte mit den Schultern, obwohl sie ahnte, worauf er hinauswollte. »Was ›und‹?«
»Was hast du ihm gesagt?«
Ylva drehte sich um und steuerte auf das Treppenhaus zu, als hätte sie noch etwas sehr Dringendes zu erledigen. Roland kam ihr hinterher. »Hör zu, ich habe das Gefühl, du würdest ihm guttun. In den vergangenen Tagen wirkte er so … lebensfroh, verstehst du?«
Energisch schüttelte Ylva den Kopf. Nein, sie wollte es nicht hören, nicht an etwas glauben, was womöglich gar nicht stimmte. Sie stampfte die Treppe hinauf, als würde sie Pfeile in den Boden rammen, um jedes Begehr in sich zu zertreten.
»Du musst verstehen, er kann nicht ändern, was er ist. Genauso wenig wie du …«
Abrupt machte sie halt und fuhr herum. Roland konnte
sich nicht mehr bremsen und lief in sie hinein, so dass sie beide fast die Treppe hinuntergestürzt wären.
»Ich hab ihn gern. Okay? Ich kann nicht mit ihm reden, ich … ich weiß nicht einmal, wie ich mit diesem … Umstand …« Ylva stöhnte, ließ sich auf die Stufen plumpsen und vergrub die Finger in ihrem Haar. Ich , ich , ich … Ging es ihr auch irgendwann um ihn? Was sahen seine Augen, wenn er sie anschaute? Konnte er akzeptieren, was sie in sich trug? Was sie ihm antun konnte, ja bereits angetan hatte?
Roland setzte sich neben sie. Ihre Schultern berührten sich. Obwohl auch sein Hauch des Todes sie erschauern ließ, fiel ihr schmerzhaft auf, wie viel intensiver sie alles in Conrads Nähe empfand. Die Angst, natürlich, ohne die gab es seine Nähe nun einmal nicht. Aber auch die Ruhe, die Seligkeit und den Glauben an etwas Gutes.
»Was denkt er über mich?«, flüsterte Ylva.
Roland sah sie von der Seite an. »Sein Âjnâ ist nicht gerade ein öffentlicher Bahnhof. Was dahinter vorgeht, weiß nur er selbst. Wir respektieren die Privatsphäre anderer und dringen nicht absichtlich in einen fremden Verstand ein.«
»Erzähl mir etwas über ihn. Ich würde ihn so gern kennenlernen.«
»Niemand weiß wirklich viel über ihn. Was ich so mitbekommen habe, sind bloß Gerüchte.«
»Aber irgendwas kannst du mir doch sagen, oder?«
Roland rang sichtlich mit sich selbst, was die rötlichen Flecken auf seinem Gesicht verrieten, bis er herausplatzte
: »Er ist ein Verfluchter, okay? Das sagt wohl schon alles.«
Ylva blinzelte und streifte sich ein paar Strähnen hinter das Ohr. »Mir nicht.«
»Er ist einer der wenigen, die durch eine Hexe mit dem Fluch belegt wurden. Solche Nachzehrer besitzen unglaublich viel Kraft … und Wut. Weil sie für ein Vergehen bestraft wurden, das sie nicht begangen, für das sie aber bis in alle Ewigkeit zu büßen haben. Wenn er sich nicht unter Kontrolle hat, wenn diese Wut erneut ausbricht, dann prost Mahlzeit. Er ist um 1832 gestorben, und du weißt sicherlich, was da in England los war.«
»N-nein.« Sie schämte sich, mit so viel Unwissen zu glänzen.
Zum Glück folgte prompt die Erklärung: »Die Cholera-Epidemie.«
»Er ist an den Folgen einer Seuche gestorben?«
»Nein. Er war deren Ursache.« Roland zwirbelte an einer seiner Augenbrauen herum. »Ein Verfluchter erwacht mit sehr viel Wut in sich. Und solange er sie nicht zu beherrschen weiß, sterben Menschen. Tausende von Menschen.«
Ylva musste schlucken, beschwor aber dennoch das Bild, das sie sich von Conrad gemacht hatte, vor sich herauf und glaubte, ihn nun ein wenig besser zu verstehen. »Versucht er vielleicht deshalb, alle Gefühle in sich zu unterdrücken?«
»Das weiß ich nicht. Möglich wär’s.«
Sie nickte und fragte nichts mehr.
Eine Weile saßen sie still auf der Treppe, bis Roland irgendwann meinte: »Es wird langsam spät. Du solltest unbedingt noch Energie bekommen, bevor du schlafen gehst. Vielleicht können wir dadurch den Dämon daran hindern, deinen Körper zu übernehmen.«
Ylva grinste. »Du willst mich küssen?«
»Mit Küssen hat das wenig was zu tun. Hm. Soll das lieber Conrad machen? Ich könnte sagen …«
»Nein, nein. Schon gut.« Sie schloss die Augen und wandte ihm ihr Gesicht zu.
Sein Mund legte sich auf den ihren. Seine Lippen fühlten sich
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