Hexenstein
zieht sich ein etwa einen Meter breiter Streifen nach hinten zur Küche, wendet sich nach links durch die Tür in diese Waschküche. Das ist die Hauptspur.« Sie wies auf kleine Kreise in der Skizze. »Vom zentralen Blutfleck aus finden sich rüber zum Sideboard einzelne Flecken, die untereinander aber nicht verbunden sind, sondern wie Inseln im Raum liegen. Sie werden kleiner, je weiter sie von AI entfernt sind und ergäben, würde man sie verbinden, eine gerade Linie. Und dann haben wir noch Anhaftungen auf den ersten acht Stufen der Treppe.« Sie schwieg nun und sah nachdenklich auf ihren Plan.
Kimmel knurrte: »Und was sagt uns das … habt ihr schon ein … Szenario?«
Lydia wollte nicht so recht raus mit der Sprache. »Mhm. Also bei AI, an der Treppe, fand der Hauptzwischenfall statt. Hier stand das Opfer und es kam plötzlich zu einem heftigen, starken Blutaustritt. So stark, dass Blutspritzer bis hinüber zum Sideboard reichten. Bei der breiten Spur von AI weg zur Küche haben wir ziemlich sicher eine Schleifspur vor uns. Wir vermuten, dass sie von den stark von Blut durchtränkten Kleidungsstücken des Opfers stammen könnte. Der Täter hat das Opfer vermutlich durch den Raum in die Waschküche gezerrt. Dort finden sich überall Blutspuren, aber nicht mehr in einem solchen Maße wie hier im Wohnzimmer. Wenzel hat die ganzen Abflüsse aufgemacht. Also eine Zerteilung der Leiche hat sicher nicht stattgefunden. Da wäre die Spurenlage dann doch anders. Wir gehen eher davon aus, dass der Körper verpackt worden ist.«
»Du sprichst von einem Körper, Lydia. Hier wohnte aber ein Ehepaar«, meinte Schielin.
»Schon richtig. Aber die Spuren passen nur zu einem Körper.«
Wenzel deutete auf die Skizze. »Der Täter hat, nachdem er die Leiche nach hinten geschafft hatte, eine verdammt gründliche Säuberung durchgeführt. Das war kein oberflächliches Geschmiere. Die Blutspuren in der Spüle stammen der Konzentration nach vom Ausspülen der Lappen, die zum Putzen verwendet worden sind. Die sind verschwunden. Hier haben wir nichts gefunden, nicht im Müll und auch sonst nirgends. Das Grundstück muss gründlich durchsucht werden. Auch nach Grabungsspuren.«
Kimmel nickte.
»Wenn die Reinigung so gründlich vonstattenging, heißt das doch, dass, wer immer es war, nicht das Gefühl hatte unter Zeitdruck zu stehen«, meinte Schielin.
Wenzel nickte und sah durch den Raum. »Ganz sicher nicht. Hektisch lief das nicht ab. Die Spuren auf der Treppe passen zu Fußabdrücken. Von der Breite her auf die Länge geschlossen … könnte es so zwischen Größe 40 bis 43 sein. Nicht gerade aussagekräftig.«
Kimmel sah Schielin an. »Nicht gerade große Füße, oder? Und heute Nacht war doch was hier. Da war doch jemand hier herinnen, die Streife hat das doch gemeldet und ihr habt bei der Nachschau niemanden gefunden?«
Schielin bejahte: »So ist es.«
»Schöne Scheiße.«
»So ist es«, Schielin noch einmal.
»Was waren das für Leute?«, wollte Kimmel wissen.
»Ein Ehepaar Kohn, Mitte fünfzig. Sie haben das Haus vor gut zehn Jahren gekauft. Sind aus dem Norden hierher an den Bodensee gezogen. Er stammt aus der Gegend von Kiel und sie aus einem Dorf bei Warendorf, das liegt in Niedersachsen. Er ist eigentlich Kunsthistoriker, hat sich aber einen Namen als Restaurator von alten Büchern gemacht. Sie hat Bücher geschrieben – über Gärten und Rosen, so Lebensberatungszeug eben, so wie es hier halt aussieht. Die beiden haben eher zurückgezogen gelebt und von den Nachbarn war da nicht viel Detailliertes zu erfahren, also überhaupt kein Geschwätz oder Geschichtchen.«
»Lebensberatungszeug?«, hakte Kimmel nach.
»Ja. So Titel halt wie: ›Sei glücklich, dann bist du froh‹, oder ›Liebe den Tag, dann liebt er dich und andre auch‹ …«
Wenzel kicherte. »Mach es wie die Vögel, zwitscher öfter mal … einen …«
Funk zog eine Grimasse.
Kimmel blieb ernst. »Mhm. Dann wäre ja ein Familiendrama denkbar, oder?«
Schielin zögerte, weil er versuchte einen Bezug zwischen dem, was er von den Büchern erzählt hatte, und dem Begriff Familiendrama herzustellen. »Denkbar ist viel, aber … wir haben noch keine Leiche.«
Kimmel hakte erneut nach. »Ich meine ja nur so als ersten Ansatz, der Klassiker eben.«
»Ich glaube nicht, dass wir es hier mit einem Klassiker zu tun haben – Ehemann tötet Ehefrau –, das glaube ich nicht. Da läge dann nämlich hier eine Leiche herum und das Blut wäre mit bloßem
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