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Hexenstein

Hexenstein

Titel: Hexenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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Licht in die dunklen Umstände, hoffe ich.«
    *
    Wenzel war etwas zu früh in Memmingen angekommen. Immer noch rechnete er die Autobahnbaustellen in die Fahrzeit mit ein, so wie es seit Jahrzehnten erforderlich war. Doch seit einiger Zeit waren sie verschwunden und er war nun schneller am Ziel als gewohnt, was das Problem aufwarf mit der gewonnenen Zeit etwas anzufangen. Die Lust einen Freund auf der Polizeiinspektion zu besuchen, war gering, und er entschied sich für das Kreuzherrn-Café.
    Kaffee war vor Obduktionen eigentlich nie besonders verkehrt. Heute hingegen, angesichts der Hitze, durchaus ein kleines Wagnis. Schon nach der Hälfte der Tasse spürte er, wie sein Körper versuchte Kühlung zu erhalten. Die Klimaanlage im Auto hatte ihn erfolgreich über die Realität der klimatischen Verhältnisse jenseits des Fahrzeuginnenraums hinweggetäuscht. So kam er über die Maßen verschwitzt in der Rechtsmedizin an.

    Die Rechtsmedizinerin, die einige Zeit später sehr geschäftsmäßig und routiniert ihrer Aufgabe nachging, verwirrte ihn. Er hatte sie noch nie hier gesehen und eigentlich mit dem alten Landgerichtsarzt gerechnet, der immer mit sich selbst sprach und irritiert aufsah, wenn man auf das einging, was er so von sich gab.
    Da war die Neue schon was anderes. Ihre braunen, lockigen Haare waren streng nach hinten gekämmt und zu einem Knoten gebunden. Einzelne Strähnen hatten sich aus der Fesselung befreit und federten locker zwischen Schläfe und Ohr.
    Wenzel lehnte an einem der Stahltische gegenüber und wartete, bis sie, die ihn zu Beginn ohne Blickkontakt und nur beiläufig gegrüßt hatte und seither so tat, als gäbe es ihn nicht, etwas für ihn Bestimmtes sagen würde. Vielleicht hatte sie ja schlechte Erfahrungen mit Polizisten gemacht, oder sie hatte eigentlich andere Aufgaben zu erledigen als Obduktionen, dachte Wenzel und wischte mit einem Papiertuch den letzten Schweiß von der Stirn.
    Der bleiche Leichnam Gundolf Kohns vermittelte in den nach spitzer Sauberkeit riechenden Räumen weit weniger Grauen als der blutverschmierte, in Plastik eingewickelte Körper, den sie unter dem Treppenverschlag gefunden hatten. Das mit dem Geruch, wusste Wenzel aus Erfahrung, würde sich bald ändern. Er registrierte, wie die Medizinerin kurz innehielt. Sie hatte den Körper eingehend betrachtet, war rundum gegangen und gerade mit der Stichwunde am Hals beschäftigt. Mit einer Metalllehre führte sie den Stichkanal nach, maß dessen Tiefe, sowie die Ausmaße an der Hautoberfläche.
    »Und am Tatort haben Sie keine Waffe gefunden?«, fragte sie, ohne den Blick zu wenden.
    Wenzel antwortete nicht, denn die Frage war keine. Natürlich hatten sie keine Tatwaffe gefunden. Wäre es so, dann läge sie als Beweismittel neben der Leiche.
    »Dieser eine Stich hier in den Hals war derjenige, der letztlich zum Tod geführt hat. Was mich wundert, ist der Winkel. Der Tote war zwar kein Riese, aber ein Täter, der in einem solchen Winkel zusticht, muss entweder ein richtig langer Lulatsch sein, oder erhöht stehen. Wie sah es denn am Tatort aus?«
    »Erhöht gestanden«, sagte Wenzel knapp und fügte nach einer Pause hinzu, »Treppenaufgang, so ein Podest mit zwei, drei Stufen.«
    Sie betastete mit ihren langen Fingern Hals und Kiefer, drehte den Kopf des Toten, um ein noch genaueres Bild zu erhalten. »Mhm. Das erklärt auch die Wucht. Von oben nach unten. Der Stich geht tief. Am Unterkiefer ein oberflächlicher Schnitt, dann in den Hals und weiter nach unten durch den Kehlkopf in den vorderen Brustraum. Ein Wunder, dass die Halsschlagader nicht durchtrennt wurde. Am Schlüsselbein sind sicher auch noch Verletzungen, das dokumentiere ich dann später. Die zwei anderen Stiche sind an den Schulterknochen abgeprallt, jeweils links und rechts. Schaut durch die langen, auseinanderklaffenden Schnitte viel gefährlicher aus, als es wirklich war. Der durchgängige Stich in den Hals hat den Tod herbeigeführt und ist wohl als letzter ausgeführt worden. Der Schnittverlauf zeigt, dass das Opfer sich vom Täter abgewandt hatte, ebenso die Schnitte am Arm – Abwehrbewegungen. Falls es Ihnen weiterhilft: So wie es sich darstellt, hat der Täter mehrfach auf sein Opfer eingestochen. Das hat versucht mit dem Arm den Angriff abzuwehren und wegzukommen. Dann kam der tödliche Stich, schräg von hinten und mit hoher Kraft geführt«, sie hielt verwundert inne, »wie überhaupt … diese Stiche … eigentlich wie brutale Schläge … die sind

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