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Hexenstein

Hexenstein

Titel: Hexenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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kurzen Gespräch zuvor hatte Lydia Naber erfahren, dass Nora Seipp vor etwa eineinhalb Jahren – einer Liebe wegen?, – wie sie es schmallippig lächelnd beschrieben hatte, nach Lindau gekommen war. Seit einem Jahr etwa erlernte sie bei Gundolf Kohn die Restauration alter Bücher.
    »Wieso ausgerechnet Buchbinderei?«
    »Es geht mehr um das Restaurieren und weniger um das rein handwerkliche Binden. Ersteres hat viel mit Erfahrung zu tun, Zweites mehr mit praktischer Übung«, erklärte sie, ohne dass es belehrend wirkte. »Bücher faszinieren mich schon immer. Wissen Sie, ich habe eigentlich Literaturwissenschaften studiert. Also erweiterter Taxischein, oder bildungsnahe Kellnerin, wie das auch gerne bezeichnet wird und so arg weit von der Realität nicht entfernt ist. Bei meinen langen Aufenthalten in Bibliotheken und Lesesälen hat mich irgendwann das Buch als solches, als Ding gepackt, und darunter vor allem die alten, wertvollen, die man nur mit den Samthandschuhen in die Hand nehmen durfte. Gundolf Kohn habe ich auf einer antiquarischen Messe kennengelernt.«
    »Wer hatte die Idee, bei ihm die Ausbildung zu machen?«
    Nora Seipps grüne Augen blitzten kurz auf. Sie lächelte. »Ich habe ihn einfach gefragt. Und er darf ja ausbilden, hat die Befähigung dazu. Außerdem ja auch einen ähnlichen Hintergrund.«
    »Kunsthistoriker«, ergänzte Lydia Naber. Das Blitzen in den Augen Nora Seipps veranlasste sie, die Zügel etwas anzuziehen.
    »Gab es Probleme mit Frau Kohn deswegen? Ich meine, war sie vielleicht ein wenig eifersüchtig auf Sie?«
    Die Antwort kam prompt und sehr gelassen – geradeso, als wäre sie erwartet worden. »Nein. Dazu bestand kein Anlass.«
    Lydia Naber stellte die nächste Frage ohne Pause. »Hatten die Kohns untereinander Schwierigkeiten oder gab es Streit mit irgendwelchen anderen Leuten?«
    »Überhaupt nicht. Nichts dergleichen. Sie lebten in ihrem wunderschönen Anwesen sehr zufrieden …«
    Lydia unterbrach. »Zufrieden, aber nicht glücklich …?«
    Nora Seipp verzog den Mund. Die Grimasse sollte sagen, wie abwegig der Einwurf war. Sie ging nicht darauf ein und fuhr nach dem kurzen Mienenspiel fort. »Sie lebten zufrieden und sehr zurückgezogen. Herr Kohn widmete sich ganz seinen Büchern und Frau Kohn ging völlig in der Arbeit im Garten auf. Sie war ja auch Autorin, aber eher so aus Spaß an der Freude, nichts Ernsthaftes. Geschenkbücher.«
    »Klingt fast nach Paradies, was Sie da schildern.«
    »Das war es auch.«
    »So wie wir Herrn Kohn gefunden haben, hat es aber gar nicht nach Paradies ausgesehen«, setzte Lydia Naber trocken hinzu. Sie wollte testen, wie diese beherrschte Frau reagierte, wenn das Gespräch etwas forscher verlief.
    Nora Seipp zeigte keine Regung. Sie saß in dieser etwas dominanten Haltung am Tisch und plauderte, war die Kontrolle selbst. Die Tragik, das Grauen des Geschehens fanden in ihrer Stimme und Körperhaltung keinen Ausdruck.
    Das reizte Lydia Naber. Ein Alibi mussten sie von Nora Seipp erfragen, das war Routine, sollte aber erst in einem zweiten, späteren Gespräch erfolgen. Sie blieb bei den Büchern. »Diese alten Bücher, die Gundolf Kohn restaurierte. Woher kamen die eigentlich?«
    Nora Seipp musste nicht überlegen. »Aus Bibliotheken. Gut zwei Drittel waren aus Bibliotheken, der Rest stammte aus Privatbesitz. Gundolf Kohn hatte einen sehr guten Ruf, weit über die Grenzen Deutschlands hinaus.«
    Lydia Naber wischte eine Haarsträhne aus der Stirn. »Diese Bücher, sind die eigentlich sehr wertvoll, oder haben die eine besondere Bedeutung?«
    Nora Seipp wog den Kopf und sprach nachdenklich: »Wertvoll. Ich weiß nicht, ob das der richtige Begriff ist für Unikate, die schlicht unersetzbar sind. Sicher sind sie ungeheuer wertvoll, wegen ihrer besonderen Bedeutung für unsere Gesellschaft, für unsere Gegenwart. Es gibt Bücher, die sind aus sich selbst heraus, als Medium und handwerkliches Kunstwerk von Bedeutung, andere sind ihrer Inhalte wegen schlicht unbezahlbar.« Sie beugte sich leicht nach vorne und sagte etwas stiller: »Wissen Sie …« Die Pause, die sie danach entstehen ließ, sollte Lydia Naber deutlich machen, dass sie nicht wusste, nicht nachvollziehen konnte, wovon Nora Seipp sprach. »Es ist ein erhebendes, sinnliches Gefühl, so ein altes Buch, ledergebunden und schwer, in der Hand zu halten, auf eine Leseplatte zu legen und aufzuschlagen. Das Papier … so etwas gibt es heute nicht mehr. Weich und fest zugleich, man fühlt es

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