Hexenstein
zufällig am Rande einer der unzähligen Okkultismusseiten in den Blick geraten. Vermutlich auch wegen des Ortes, der unter der Überschrift Adresse aufgeführt war und sie in aufgeregte Freude versetzte: Scheidegg. Sie war dorthin gefahren – ganz privat – und hatte eine kleine, dunkle Ladenstube entdeckt, in welcher ein süß-bitterer Geruch den unbefangenen Eintretenden sofort benebelte. Eine blanke Glühlampe sorgte für das wenige Licht, dessen übermäßige Ausbreitung durch von der Decke hängende Ritualhilfen gehemmt wurde. Da baumelten Tücher, Umhänge, Gürtel, Frackteile, Stiefeletten und sehr erotische Lederdresses mit vielen großen Löchern und silbrigen Knöpfen in gruseliger Eintracht neben Tierfellen, Schädeln, Knochen und Krallenstöcken. Die Regale rundum im Raum verteilt und bis zur Decke reichend, quollen über von Tüten, Dosen und Gläsern, in denen sich alles Unmögliche der Welt versammelt zu haben schien. Da waren Öle und Salben von zweifelhafter Herkunft, dazwischen getrocknete Pflanzen und Wurzeln, Räucherwerk aller Art, Harze, Kräuter und magischer Schmuck. Steine und Kristalle – natürlich alle mit einer Macht, einer Wirkung versehen – rundeten das Angebot ab. An einem Holzstab hingen tatsächlich einige Hufeisen, die jedoch mit den Voglerschen nichts zu tun hatten. Soweit kannte sie sich mit den Merkmalen bereits aus. Sie sah sich um: Wo waren die Holzbesen?
Ihr Blick glitt über die Bücher mit magischer Literatur, die zwischen dem ganzen Zauberzeug lagen. Es gab ein Buch der Schatten, fast hätte Jasmin Gangbacher lachen müssen. Dazu noch jede Menge Biografíen alter Zaubermeister – Abrakadabra – huh, huh, huh – ene mene muh! – kurzum, für jeden okkulten Geschmack war etwas dabei gewesen.
In einer Nische, ganz eingewachsen vom okkulten Tand, hockte eine hagere Gestalt. Sie fragte sich, wie es der Kerl, dessen Alter schlecht zu schätzen war, hier nur aushalten konnte. Er hatte sie mit keinem Wort begrüßt, sondern verfolgte ihre nicht gezielte Suche mit verstohlenen Blicken, während er an einem mit verrückten Zeichen bestickten Tuch nestelte.
Sie hatte zu einer Dose mit Ol gegriffen und überlegt, wie sie es anstellen sollte ins Gespräch zu kommen. Sie entwaffnete ihn, indem sie sich ihm zuwendete, das Öldöschen fragend in der Hand haltend, und mit hilfloser Stimme sagte: »Ich kenne mich noch nicht so gut aus.« Fast hätte sie sich selbst ein wenig leidgetan, als sie ihrer eigenen Stimme nachhorchte. Sie ließ ein wenig Licht in die dunkle Seele des Zottels gegenüber fallen, indem sie ihm ein freimütiges Lächeln schenkte, und – der Allgäuer Rasputinersatz war geknackt.
Bald darauf, bei einem Kräutertee, hatte er schon alle Scheu verloren und wurde zu einer regelrechten Plappertasche. Wie unangenehm, dachte Jasmin Gangbacher, alles Geheimnisvolle auf einmal weggequatscht, fast wie beim Girls’ Day. Nichts mehr mit faszinierender Düsternis und dunklen Geheimnissen. Sie horchte ihn nur noch aus. Die Sache mit den Friedhöfen interessierte sie nicht, auch nicht die Tänze bei Vollmond, daher lenkte sie das Gespräch – eine Streichholzschachtel lag als Medium günstig herum – auf Feuer; und in der Tat – die nächtlichen Feuer um Lindau waren in der Szene bereits Thema und er erzählte wichtigtuerisch – alles sei gelogen. Er schaffte es noch, jeden Funken Neugier an ihm in ihr auszutreten. Zum Schluss senkte er seine Stimme, und meinte, dass es in Lindau eine große Hexenmeisterin gäbe, von der kaum jemand wüsste.
Sie machte ein ernstes Gesicht und achtete darauf, dass noch etwas Überraschtes darin erhalten blieb. Dabei dachte sie daran, was wohl Gommi sagen würde, wenn sie ihm erzählte, dass es in Lindau eine große Hexenmeisterin gäbe.
»Eine!? Nur eine!?«, lautete wohl sein einführender Kommentar.
Auf die Frage, ob man diese Hexenmeisterin denn irgendwie treffen könne, schüttelte der Zottel mit bedauernder Miene den Kopf. Das wäre nur über Empfehlungen möglich.
»Das ist aber schade«, sagte Jasmin Gangbacher ehrlich enttäuscht, und war gar nicht verwundert, als sie weiter erfuhr, dass der magere Zottel nicht zu den Hexenmeistern gehörte, die eine Empfehlung aussprechen konnten.
Und nun stand sie hier in Amtzell vor dem alten Bau der Voglerschen Hammerschmiede und hoffte auf – ein Zeichen vielleicht? Im Fenster steckte eine gefaltete Broschüre der Gemeinde, die Auskunft gab über die Geschichte der alten
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