Hexenstein
Madmax-Film, oder einem modernen Fantasyspektakel. Konnte man eigentlich noch ohne irgendwelches Bohei auf einem Rad dahinfahren, die Luft, den Geruch der Landschaft und die Aussichten genießen?
Er ging langsam weiter zur Schranke, und als sich die Balken ohne Hast wieder hoben, wechselte er mit allen anderen über die Gleise und folgte dem gemütlichen Fußweg über den Bahndamm, passierte die Lindenschanze, stieg die steilen Treppen zur Thierschbrücke hinauf, wo er kurz innehielt und an einen Menschen dachte. Hier auf dem Teer hatte man den Maler Onderka auf der Straße liegend gefunden, diesen verrückten, begabten, unkonventionellen Kerl, der oft in Funks Büro gehockt hatte und der auch andere Räume des Polizeigebäudes, weit weniger ausstaffierte, das ein oder andere Mal hatte kennenlernen müssen.
Er querte die Brücke und kam auf der anderen Seite wieder auf den Uferweg. Weshalb er diesen Weg ging, konnte er nicht sagen, er dachte über alles Mögliche und nichts nach und unterließ es seinen Gedanken eine Richtung aufzuzwängen.
Eine Eisenstange mit rotem Dreieck obenauf markierte den Hexenstein, dessen felsiges Haupt wegen des noch niedrigen Wasserstandes weiter als üblich aus dem See ragte. Schielin sah sich um, versuchte der Stelle einen übersinnlichen Kern zu entlocken. Nichts. Vielleicht war er auch nicht der Typ dafür. Von hier ging der Blick weit über das Wasser, hinüber zum Aeschacher Ufer. Das Hotel Bad Schachen dominierte die Uferfront, dahinter die in sattem Grün überhängenden Bäume des Friedensparks. Was gab einem Ort, einer Stelle aus Erde, Wasser, Stein und Luft etwas Übersinnliches? Wahrscheinlich waren es wir Menschen. Er jedenfalls spürte nur die Magie, die ihn immer wieder an das Ufer, den See, zur Insel hinzogen; spürte, dass er dies alles immer wieder sehen, fühlen und riechen musste. Ganz in Gedanken suchte er hinter der kniehohen Ufermauer nach Spuren eines Feuers und tatsächlich lagen ein paar verkohlte Prügel zwischen den groben Steinen herum. Sonst war nichts zu entdecken. Schielin sah das Dreiviertelrund, das von Ufer und Bahndamm geschaffen wurde, und massierte sich den Nacken.
Er hatte den Ausflug weniger deswegen unternommen, um zu einem Schluss zu kommen, oder etwas zu entdecken. Er brauchte die Magie des Ortes, um seine Gedanken zu befreien.
Zurück auf der Dienststelle, trafen wie zufällig Robert Funk und Wenzel in seinem Büro zusammen. Sie kamen kurz nacheinander und hörten Schielins gedämpfter Stimme mit Spannung zu, der zu Lydia Naber gewandt sprach und ihr von der Unfallakte berichtete.
Wenzel stand im Türrahmen und zog die Tür zu, jedoch nur so weit, dass er durch einen Spalt wahrnehmen konnte, was sich draußen im Gang tat. Feindbewegungen etwa.
»Sag das bitte noch mal!«, forderte Lydia Naber von Schielin und sah ungläubig zu den anderen beiden.
»Ich glaube nicht, dass wir mit Carmen Kohn, geborene Lasalle, die richtige Person vor uns haben.«
»Ja, aber wer soll sie denn sonst sein?«, fragte Wenzel, der nicht alles mitbekommen hatte.
»Die Tote aus dem K70, meint er«, sagte Lydia kurz angebunden.
Wenzel war von der etwas ungehaltenen Antwort nicht zu beeindrucken. »Was für ein K70? Meint ihr das Auto? Die Kisten gibt’s doch schon eine Ewigkeit nicht mehr.«
»Eben.« Schielin nahm die Gelegenheit wahr seinen Verdacht nochmals auszubreiten. Er wollte möglichst oft davon reden, reden, reden, um sich entweder selbst sicherer zu werden, oder die Zweifel, die er durchaus hatte, zu verstärken. »Vor über dreißig Jahren gab es einen Unfall, bei dem drei junge Leute ums Leben gekommen sind. Zwei Burschen und ein Mädchen, alle noch keine zwanzig. Der Fahrer hatte den K70 vom Onkel. Das Mädchen, das damals auf der Rückbank saß, war eine Helen … der Nachname fällt mir gerade nicht ein … jedenfalls war sie die Freundin, die einzige Freundin von Carmen Lasalle. Und ich glaube nun, dass es ganz anders ist. Dass nämlich unsere Carmen Kohn, geborene Lasalle, in Wirklichkeit diese Helen ist, und im Grab der Helen liegt Carmen Lasalle.«
Wenzel sah verdutzt von einem zum andern. »Wie kommst du bitte darauf?«
»Wegen der zweiten Handtasche«, sagte Lydia Naber und entschuldigte sich kaum, dass sie es gesagt hatte, denn ihr Ton war etwas zu spöttisch geraten. Sie lehnte sich zurück und seufzte. Die Haubachers waren schöne Täter, mit denen man kein Mitleid empfinden musste, und jetzt diese Sache.
Schielin berichtete
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