Hexenstein
aber es reichte für einen ausgiebigen Aufenthalt an der Weide, wo er die Friesen und Ronsard striegelte, dass ihm der Schweiß lief.
Als er damit fertig war, kontrollierte er den Weidezaun, die Elektrokontakte und forschte den Waldrand ab. Beruhigt ging er zurück ins Haus, wo nach einer kühlen Dusche eine Flasche Wein wartete. Er wusste, dass er gut bewacht war und hatte demzufolge keine Sorge, als er nach oben ging, wo sich zum Wein Claudio Arrau mit Chopins Nocturnes gesellte. Als Lektüre hatte er sich die Akten aus Warendorf mitgenommen – ein USB-Stick machte es möglich. Am Morgen hatte er eine weitere Mail aus Warendorf in seinem Postfach vorgefunden und nun wollte er etwas mehr über Carmen Lasalle erfahren, wenn sie es schon nicht mehr berichten wollte oder konnte. Auf dem klapprigen Notebook blätterte er durch die Seiten und fand dort bestätigt, was er im Telefonat mit Wilhelm Kurz bereits erfahren hatte. Carmen Lasalle war ein wildes Mädchen gewesen. Er fand Verweise, Ermahnungen, Gutachten, Empfehlungen, Gesprächsnotizen – und aus allem sprach die Hilflosigkeit einer jungen und entfesselten Seele heraus. Aus manchen Notizen waren auch der Zorn und eine zur Neige gehende Geduld zu entnehmen. Schielin war im Zweifel, wem er mehr Mitleid zugestehen sollte. Er klickte die pdf-Dateien weg und öffnete eine weitere Datei, die er erst heute erhalten hatte – die Unterlagen den Unfall betreffend. Die Fotografien waren noch mit Hand eingeklebt, wie auf den Scans gut zu erkennen war, und ihre Beschriftung war sorgfältig mit Schablone vorgenommen worden. Welche Zeit das alles in Anspruch genommen hatte, erinnerte er sich. Das machte heute niemand mehr. Digitale Fotos, digitale Bildunterschriften, Druckbefehl – fertig. Was geschah aber heutzutage mit all dieser gewonnenen Zeit, fragte er sich und scrollte weiter durch die Unfalldokumente. Ihm fiel auf, dass bei den Opfern eine vom Gerichtsmediziner durchgeführte Leichenschau stattgefunden hatte, der bei den stark verbrannten Leichen die Todesursachen festgestellt hatte. Auch angesichts der Umstände keine besondere Herausforderung, denn alle drei Insassen des Pkw Volkswagen K70 waren nicht angeschnallt gewesen. Dem Fahrer war das Lenkrad, auf das er geprallt war, zum Verhängnis geworden. Dem Beifahrer hatte der Aufprall an der Windschutzscheibe das Genick zerschlagen und Carmen Lasalles Freundin Helen Sander hatte so offensichtlich schwere und zweifelsfrei zum Tod führende Schädelverletzungen davongetragen, dass auf eine weiterführende Obduktion verzichtet werden konnte. Keines der Opfer war an den Folgen des Fahrzeugbrandes gestorben. Schielin schenkte vom Côtes du Rhone nach und tauchte ab in jene Zeit, in der er selbst in den Nächten unterwegs gewesen war.
Zwei Burschen und ein Mädchen …
Er las den Unfallbericht nochmals. Gegen vier Uhr am Morgen war die Polizei über das Unfallgeschehen informiert worden. Das Unfallfahrzeug war zu diesem Zeitpunkt bereits ausgebrannt gewesen. Der Brand war vom Motorraum ausgegangen. Die Leichen der beiden Burschen im vorderen Fahrzeugraum waren dementsprechend stark der Feuer- und Raucheinwirkung ausgesetzt gewesen. Schon jenseits der Vordersitze war die Wirkung nicht mehr ganz so stark gewesen. Trotzdem war die Mädchenleiche auf der Rückbank verkohlt gewesen. Er las die Einlassungen der Zeugen, die man befragt hatte. Den Angaben war zu entnehmen, dass die drei Insassen vor der Diskothek in Warendorf gesehen worden waren. Es fanden sich keine Zeugenangaben darüber, wann das Unfallfahrzeug den Parkplatz der Diskothek verlassen hatte.
Er klickte die Bildtafel in den Vordergrund. Das demolierte Fahrzeug, die verbrannten Insassen mit allen Details, perfekt in Schwarz-Weiß dokumentiert. Sachlich. Nüchtern. Die Fotos ganz hinten zeigten nochmals verschiedene Übersichten. Auf dem Teer waren die mit weißer Kreide aufgezeichneten Markerlinien zu erkennen, die Schleuderverlauf, Aufprallpunkte und Blockier- und Bremsspuren markierten. Ein Foto zeigte das weitere Umfeld des ausgebrannten Fahrzeugs. Schielin stutzte und scrollte einige Seiten zurück, wo das Fahrzeuginnere zu sehen war. Dann wechselte er wieder zur der Außenaufnahme. Etwa zwanzig Meter vom ausgebrannten K70 entfernt lag ganz deutlich sichtbar eine Handtasche am Rand der Fahrbahn. Wie zufällig dort hingeworfen. Schielin blätterte wieder zurück. Die Aufnahmen des Fahrzeuginneren zeigten zweifelsfrei eine halb verbrannte Handtasche, die wie
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