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Hexenstein

Hexenstein

Titel: Hexenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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erneut von der zweiten Handtasche, die auf dem Unfallfoto zu sehen war, und die im Protokoll aufgelistet worden war.
    »Aber Conrad, wie soll das passiert sein, bei einem so schlimmen Unfall … mit drei Toten?«
    Schielin hob die Hand. »Das Fahrzeug ist vor dem ersten Überschlag über eine Strecke von mehr als hundert Metern geschleudert, von einer Fahrbahnseite zur anderen. Vierzig Meter vor dem Überschlag hat es eine Baumgruppe touchiert, rechts, am Beginn einer moosigen Wiese. Dabei wurde die rechte, hintere Türe abgerissen …« Er sah Wenzel auffordernd an. Der Aufprall selbst war so heftig nicht. Das Pech war, dass das Auto so halb quer in die Bäume rutschte. Du weißt: Vierzig, fünfzig Stundenkilometer und ein Bäumchen von zwölf Zentimetern Durchmesser im Seitenaufprall – das geht bis zur Mitte durch wie ein warmes Messer in Butter.
    »Du meinst, eine auf der Rückbank sitzende Person ist herausgeschleudert worden … Mooswiese, relativ weich … Glück …« Wenzel knurrte seine Zweifel heraus. »Abenteuerlich, Conrad, das ist eine abenteuerliche Variante … und – vorausgesetzt, es wäre so wie du es schilderst: Eine nur leicht verletzte Helen überlebt den Unfall … und dann hat sie die Chuzpe die Situation zu nutzen und die Identität ihrer soeben im Auto zu Tode gekommenen Freundin anzunehmen und sie in ein Grab mit ihrem eigenen Namen legen zu lassen? Ihre Familie um eine Fremde trauern zu lassen? Also, bitte!«
    Schielin verstand Wenzels Zweifel. »Jaja, Wenzel, aber diese Helen war ein hochintelligentes, junges Mädchen, stand kurz vor dem Abitur, hatte glänzende Noten. Die Familienverhältnisse, aus denen sie stammte, könnte man als verheerend bis obskur bezeichnen und waren wohl auch der Grund, weswegen sie keinen rechten Anschluss in der Schule fand. Wie auch immer kam sie mit Carmen Lasalle zusammen – ein Wildfang wie aus dem Buche, jung, hübsch, charismatisch, unangepasst und aufsässig. Ich habe mit dem Heimleiter telefoniert, diesem Wilhelm Kurz. Kaum zu bändigen war diese Carmen. Und Helen … stellt euch das mal vor, sie wird schon mit siebzehn schwanger, muss die Schule verlassen – das Ende aller Träume. Kein Abitur, kein Studium, kein Beruf … gefangen in der norddeutschen Tiefebene und auf Gedeih und Verderben dem Wohlwollen einer psychisch kranken Mutter ausgeliefert und niemand, mit dem sie reden kann. Die beiden, also Mutter und Tochter, mochten einander nicht sonderlich«, Schielin hob die Stimme, »ich habe nun lange darüber nachgedacht, glaube mir. Alles, was dieser ehemalige Heimleiter Wilhelm Kurz von Carmen Lasalle berichtet hat und was auch aus den Akten hervorgeht … es passt in überhaupt keiner Weise auf die Carmen Lasalle, mit der wir zu tun haben. Unsere Carmen Lasalle ist ein völlig anderer Mensch als der, den die Akten beschreiben: Sie geht nach Frankreich, arbeitet fleißig und zuverlässig in der Gastronomie, macht eine Dolmetscherprüfung und ist jahrelang als Übersetzerin und Fremdenführerin tätig. Alles, was recht ist, die echte Carmen Lasalle hat mit Mühe und Not ein paar Jahre Schule hinter sich gebracht, mehr als ein paar Monate hat sie es nicht an einer Ausbildungsstelle ausgehalten, immer war sie unterwegs, am liebsten nachts! Ich bin der Meinung – für diese Helen muss der Unfall, so schrecklich er auch war, ein Gottesgeschenk gewesen sein. Nur dadurch hatte sie die Möglichkeit ihrem bisherigen Leben zu entkommen und konnte bleiben, wer sie war – und doch eine andere sein. Es ist im Grunde genommen doch relativ einfach. Sie war volljährig, hatte keine weitere Verwandtschaft und nahm den Identitätsnachweis von Carmen Lasalle an sich. Die beiden waren sich auch noch einigermaßen ähnlich. Mehr brauchst du nicht. Mit dem Ausweis bekommst du alles Weitere und wenn aufgrund dieses Ausweises erst mal andere Papiere ausgestellt werden, läuft alles wie von selbst.«
    »Also, ich weiß nicht«, meinte Wenzel, wobei er Schielins Gedankengänge gar nicht mal für abwegig hielt.
    Robert Funk, der bisher geschwiegen hatte, meinte: »Angenommen, das Telefon klingelt jetzt und die Weissenau teilt mit, es gibt keine Narbe am rechten Bein unserer Carmen Kohn-Lasalle. Was dann?«
    Wenzel sah hilflos zu Lydia Naber. »Welche Narbe?«
    Lydia Naber erklärte geduldig: »Carmen Lasalle muss eine recht lange Narbe am rechten Bein haben – offener Bruch von einem Sturz aus dem Fenster. Conrad lässt das gerade überprüfen.«
    Wenzel nickte

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