Hexenstunde
Eisengittergeflecht und starrte auf den Staub und den Müll, der auf den abblätternden Dielen der Vorderveranda umherwehte. Die Kamelien waren zu Bäumen ausgewachsen, die das Geländer überragten. Und die Steinplatten des Weges waren mit Laub bedeckt. Er stellte den Fuß in das Eisengitter. Kein Problem, über dieses Tor hinweg zu springen.
»Hey, Freundchen! Hey!«
Verdutzt drehte er sich um. Der Taxifahrer stand neben ihm. Wie klein er war, wenn er nicht am Steuer saß. Ein kleiner Mann mit einer großen Nase, und seine Augen lagen im Schatten unter dem Mützenschirm. »Was haben Sie denn da vor? Schlüssel verloren?«
»Ich wohne nicht hier«, sagte Michael. »Ich habe keinen Schlüssel.« Und plötzlich mußte er lachen, so absurd war das alles. Ihm war schwindlig. Der Wind vom Fluß duftete süß, und das dunkle Haus stand so dicht vor ihm, daß er es fast anfassen konnte.
»Kommen Sie, ich bringe Sie in Ihr Hotel – ins Pontchartrain, sagten Sie? Ja? Ich bringe Sie rauf in Ihr Zimmer.«
»Nicht so hastig«, sagte Michael. »Warten Sie einen Moment.« Er wandte sich ab und ging die Straße hinunter, unversehens betrübt über die gebrochenen, unebenen Pflastersteine, auch sie so purpurn wie in seiner Erinnerung. Gab es nichts, was verblaßt und enttäuschend war? Er wischte sich über das Gesicht. Tränen. Er drehte sich um und schaute in den Seitengarten.
Die Myrten hier waren enorm gewachsen. Ihre blassen, wächsernen Stiele waren ziemlich dick geworden. Und die weite Rasenfläche, an die er sich erinnerte, war jetzt von Unkraut traurig überwuchert, und der alte Buchsbaum war wild und struppig. Dennoch liebte er das alles. Liebte sogar das alte Spalier dort hinten, schon krumm unter der Last verfilzter Ranken.
Da hatte er immer gestanden, der Mann, dachte er, als er ganz hinten die Myrte sah, die hoch an der Wand des Nachbarhauses hinaufwuchs.
»Wo bist du?« flüsterte er. Plötzlich hingen die Visionen lastend über ihm. Er spürte, wie er vorwärts gegen den Zaun fiel, hörte die eisernen Sehnen ächzen. Ein sanftes Rascheln kam aus dem Laub auf der anderen Seite, gleich rechts von ihm. Er drehte sich um. Bewegung zwischen den Zweigen. Kamelienblüten, gedrückt, fielen zu Boden. Er kniete nieder, langte durch den Zaun, fing eine auf, rot, abgebrochen. Sagte der Taxifahrer etwas?
»Schon okay, Mann«, sagte Michael, betrachtete die abgebrochene Kamelie in seiner Hand, bemühte sich, im Halbdunkel besser zu sehen. Glänzte da ein schwarzer Schuh vor ihm, auf der anderen Seite des Zauns? Wieder das Rascheln. Ja, er starrte doch auf ein Hosenbein! Jemand stand vor ihm, nur eine Handbreit vor ihm. Michael verlor das Gleichgewicht, als er aufblickte. Und als er mit den Knien auf das Pflaster schlug, sah er eine Gestalt über sich aufragen, die durch den Zaun zu ihm herausspähte; nur ein Fünkchen Licht fing sich in den Augen. Wie erstarrt stand die Gestalt, mit großen Augen, gefährlich nah, und wütende Wachsamkeit richtete sich auf ihn. Eine Hand langte heraus, nicht mehr als ein weißer Streif im Schatten. Michael wich auf den Steinplatten zurück, der Schrecken in ihm war instinktiv und ohne Frage. Aber als er jetzt wieder in das dichte Gestrüpp spähte, war niemand da.
Die Leere war plötzlich ebenso furchterregend wie die Gestalt von vorhin. »Gott, hilf mir«, wisperte er. Das Herz hämmerte ihm gegen die Rippen. Und er kam nicht hoch. Der Taxifahrer zerrte an seinem Arm.
»Los, mein Junge, bevor hier ein Streifenwagen vorbei kommt!«
Gefährlich schwankend ließ er sich auf die Beine ziehen.
»Haben Sie das gesehen?« flüsterte er. »Allmächtiger! Das war derselbe Mann!« Er starrte den Taxifahrer an. »Ich sage Ihnen, es war derselbe Mann.«
»Und ich sage Ihnen, mein Sohn, ich muß Sie jetzt zum Hotel zurück bringen. Das hier ist der Garden District, Junge, erinnern Sie sich? Da können Sie nicht besoffen rumtorkeln.«
Michael verlor wieder das Gleichgewicht. Er kippte um. Schwerfällig taumelte er von den Steinplatten rückwärts ins Gras, drehte sich um, streckte die Hände nach dem Baumstamm aus, aber da war kein Baum. Wieder fing der Fahrer ihn auf. Und ein zweites Paar Hände gab ihm Halt. Er fuhr herum. Wenn es wieder der Mann wäre, würde ihn der heulende Wahnsinn packen.
Aber es war niemand anders als dieser Engländer, der weißhaarige alte Knabe in dem Tweed-Anzug, der auch im Flughafen gewesen war.
»Was, zum Teufel, suchen Sie hier?« wisperte Michael. Aber
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