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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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leicht zum Bestattungsinstitut und zum Friedhof?«
    »Na, von da könnten Sie zu Fuß herkommen, Dr. Mayfair, wenn es nicht so heiß wäre.«
    »Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich da bin. Aber bitte versprechen Sie mir, daß Sie meine Mutter nicht beerdigen, bevor…«
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Dr. Mayfair. Aber da ist noch etwas. Meine Frau möchte, daß ich mit Ihnen darüber spreche.«
    »Bitte, Mr. Lonigan.«
    »Ihre Tante. Carlotta Mayfair – sie will nicht, daß es in der Morgenzeitung angezeigt wird, und offen gesagt… na ja, ich glaube, es ist auch keine Zeit mehr für eine Anzeige. Aber es gibt so viele Mayfairs, die gern von der Beerdigung wissen würden. Ich meine, die Verwandtschaft wird entrüstet sein, wenn sie erfährt, daß das alles so schnell gegangen ist. Nun liegt es ja, wohlgemerkt, völlig bei Ihnen, und ich werde tun, was Sie sagen, aber meine Frau möchte wissen, ob Sie vielleicht etwas dagegen hätten, wenn sie anfinge, die Verwandten zu informieren. Wenn sie einen oder zwei erreicht hat, werden die natürlich den Rest übernehmen. Also wenn Sie es nicht wollen, tut sie es auch nicht. Aber Rita Mae – das heißt, meine Frau -findet, es wäre eine Schande, Deirdre so zu begraben, ohne daß irgend jemand Bescheid weiß, und sie meint, für Sie wäre es vielleicht gut, mal die Verwandten zu sehen, die dann so kommen. Gott weiß, für Miss Nancy voriges Jahr sind sie scharenweise erschienen. Miss Ellie war auch hier, Ihre Miss Ellie aus Kalifornien, aber das wissen Sie sicher…«
    Nein, das hatte Rowan nicht gewußt. Die Erwähnung von Ellies Namen war ein weiterer dumpfer Schock. Es schmerzte sie, sich Ellie dort unten vorzustellen, unter all den zahllosen, namenlosen Verwandten, die sie selbst nie gesehen hatte. Es erstaunte sie, wie hitzig ihre Wut und ihre Bitterkeit waren. Ellie und die Verwandten. Und Rowan allein in diesem Haus. Wieder kämpfte sie mühsam um ihre Fassung.
    »Ja, ich wäre Ihrer Frau sehr dankbar, Mr. Lonigan, wenn sie die Sache in die Hand nehmen könnte. Ich würde die Verwandtschaft gern einmal sehen…« Sie brach ab; sie konnte nicht weiter. »Und, Mr. Lonigan, was Ellie Mayfair angeht, meine Adoptivmutter – sie ist auch nicht mehr bei uns. Sie ist vergangenes Jahr gestorben. Wenn Sie glauben, daß irgend jemand unter den Verwandten das vielleicht wissen möchte…«
    Oh, das übernehme ich gern. Dr. Mayfair. Dann brauchen Sie’s ihnen nicht selbst zu sagen, wenn Sie kommen. Und es tut mir so leid, das zu hören. Wir hatten ja keine Ahnung.«
    Es klang, als komme es wirklich von Herzen. Sie glaubte ihm, daß es ihm leid tat. So ein netter, altmodischer Mann.
    »Auf Wiedersehen dann, Mr. Lonigan. Wir sehen uns morgen nachmittag.«
    Als sie aufgelegt hatte, war ihr so elend zumute, daß sie fürchtete, wenn sie einmal anfinge zu weinen, könnte sie nicht mehr aufhören damit. Sie setzte sich auf einen Schemel in der Küchenecke, zusammengesunken, die Hände vor dem Gesicht. Ihr Schluchzen hallte laut in dem leeren Haus. Schließlich ließ sie den Kopf auf die verschränkten Arme sinken und weinte bis zur Erschöpfung.
    Endlich wischte sie sich mit dem Handrücken über das Gesicht, ging zum Kamin und legte sich davor auf den Teppich. Sie hatte Kopfschmerzen, und die ganze Welt kam ihr leer und feindselig vor, ohne die geringste Verheißung von Wärme oder Licht.
    Aber das würde vorübergehen. Es mußte. Sie hatte ähnliches gefühlt, als Ellie beerdigt worden war. Sie hatte so gefühlt, im Krankenhauskorridor, als Ellie vor Schmerzen geschrien hatte. Sie wußte, daß es besser wurde. Und dennoch erschien ihr das im Augenblick unmöglich. Als sie an das Papier im Safe dachte, das Dokument, das verhindert hatte, daß sie nach Ellies Tod nach New Orleans gefahren war, verabscheute sie sich dafür, daß sie sich daran gehalten hatte. Und sie verabscheute Ellie, weil sie die Unterschrift von ihr erzwungen hatte.
    Eine Stunde mußte sie wohl so gelegen haben; die Sonne schien heiß auf die Dielen ringsum und auf ihre Wange und ihre Arme. Sie schämte sich ihrer Einsamkeit. Sie schämte sich, das Opfer dieses Schmerzes zu sein. Vor Ellies Tod war sie so glücklich gewesen, so unbekümmert, ganz erfüllt von ihrer Arbeit, und sie war in diesem Haus ein und ausgegangen, in der Sicherheit, Wärme und Liebe zu empfangen und selbst Wärme und Liebe zu geben. Wenn sie daran dachte, wie sehr sie sich auf Michael verlassen hatte, wie sehr sie ihn jetzt brauchte,

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