Hexenstunde
jäh bohrten sich Sonnenstrahlen hier und da in den Schatten, und jenseits der Allee umschloß das flache Land zu beiden Seiten mit seinem hohen Gras und dem dichten, formlosen Gesträuch den Himmel und das Haus.
Michael drückte auf den Knopf, der das Fenster herabließ. »Gott, fühlen Sie nur diese Luft«, flüsterte er.
»Ja, ganz bemerkenswert, finde ich«, bestätigte Aaron leise. Aber er lächelte Michael nachsichtig an. Die Hitze war überwältigend. Michael störte das nicht.
Stille schien sich auf die Welt zu legen, als das Auto anhielt und sie vor dem breiten, einstöckigen Hause ausstiegen. Es war vor dem Bürgerkrieg erbaut, eines jener Gebäude von sublimer Einfachheit – massig und doch tropisch, ein kantiger Kasten, verziert mit Fenstern, die bis zum Boden reichten, und an allen Seiten umgeben von tiefen Galerien und dicken, glatten Säulen, die das flache Dach trugen.
Schwer zu glauben, dachte Michael, daß hinter der fernen Uferböschung die Schlepper und Frachtkähne auf dem Fluß verkehren sollten, die sie vor weniger als einer Stunde gesehen hatten, als eine tuckernde Fähre sie ans südliche Ufer gebracht hatte. Das einzige, was noch wirklich schien, war diese sanfte Brise, die sich über den Ziegelboden zu ihren Füßen stahl, die breite Doppeltür des Hauses, die sich jetzt auftat, um sie einzulassen, die vereinzelten Sonnenstrahlen, die im Glas der wunderschön geschwungenen Bogenfenster funkelten.
Wo war der Rest der Welt? Das war unwichtig. Wieder hörte Michael die wundersamen Laute, die ihn in der First Street eingelullt hatten – das Singen der Insekten, das wilde, scheinbar verzweifelte Schreien der Vögel.
Aaron drückte seinen Arm, als er Michael hineinführte; den Schock der künstlich abgekühlten Luft merkte man ihm nicht an. »Wir machen einen raschen Rundgang«, sagte er.
Michael hörte ihn kaum. Das Haus hatte ihn in seinen Bann geschlagen, wie Häuser es immer taten. Er liebte Häuser, die so gebaut waren – mit einem breiten, zentralen Hausflur, einer einfachen Treppe und großen, viereckigen Zimmern in vollkommener Ausgewogenheit zu beiden Seiten. Bei der Restaurierung und Einrichtung war ebenso verschwenderisch wie sorgsam vorgegangen worden. Und sehr britisch: dunkelgrüne Teppiche und Bücher in Schränken und Regalen aus Mahagoni, die bis zur Decke reichten. Nur wenige, zierliche Spiegel und ein kleines Spinett in einer Ecke erinnerten an die Zeit vor dem Bürgerkrieg. Der Rest war solide viktorianisch, aber keineswegs unangenehm.
»Wie ein privater Club«, flüsterte Michael. Es war fast komisch, wie hier und da jemand in einem tiefen Gobelinsessel saß und von seinem Buch oder seiner Zeitung nicht einmal aufblickte, als sie lautlos vorüberglitten. Aber die allgemeine Atmosphäre war unmißverständlich einladend. Er fühlte sich wohl hier. Das rasche Lächeln der Frau, die ihnen auf der Treppe begegnete, gefiel ihm. Er hatte Lust, sich selbst irgendwann einen Sessel in der Bibliothek zu suchen. Und durch die zahllosen französischen Fenster sah er ins Grüne hinaus, in ein weit verästeltes Netz, das den blauen Himmel verschluckte.
»Kommen Sie, wir gehen jetzt zu Ihrem Zimmer«, sagte Aaron.
»Aaron, ich bleibe nicht hier. Wo ist die Akte?«
»Natürlich nicht«, sagte Aaron. »Aber Sie brauchen Ruhe, damit Sie nach Belieben lesen können.«
Er führte Michael durch den Korridor im ersten Stock in das Vorderzimmer an der Ostseite. Fenster, die auch hier bis zum Boden reichten, öffneten sich zur Vorder- und zur Seitengalerie. Und obwohl der Teppich hier so dunkel und dick war wie überall, entsprach die restliche Einrichtung doch eher der Pflanzertradition: zwei Kommoden mit Marmorplatten und eines jener überwältigenden vierpfostigen Betten, die für diese Art Haus gemacht zu sein schienen. Handgenähte Steppdecken bedeckten die formlose Federmatratze in mehreren Schichten. Keinerlei Schnitzwerk verzierte die zweieinhalb Meter hohen Bettpfosten.
Aber das Zimmer verfügte über eine überraschende Ausstattung mit modernen Geräten: Es gab einen kleinen Kühlschrank und einen Fernsehapparat in einem holzgeschnitzten Schrank. Gegenüber der Tür schmiegte sich ein Schreibtisch mit einem Stuhl an die Wand, von dem man die vorderen wie die nach Osten gehenden Fenster im Blick hatte. Das Telephon war übersät von Knöpfen und den winzigen, sorgfältig geschriebenen Nummern verschiedener Nebenanschlüsse. Zwei Queen-Anne-Ohrensessel standen wie auf
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