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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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verwirrt zu sein. Und ich war es ganz gewiß, denn es war so unbeschreiblich süß gewesen, sie zu küssen, den Duft ihrer Haut zu riechen und ihren Brüsten so nahe zu sein, daß ich mich tatsächlich im Zustand schierer Verblüffung befand. Sogleich erklärte ich, ich wolle doch noch einmal von diesem Geist sprechen, denn in der Beschäftigung mit der in Frage stehenden Angelegenheit schien meine einzige Rettung zu liegen. »Ich muß Ihnen erläutern, was ich über diesen Geist denke, und über die Gefahren, die mit diesem Wesen verbunden sind. Sicher wissen Sie, wie ich Ihre Mutter kennen lernte? Oder hat sie Ihnen nicht die ganze Geschichte erzählt? Ich war es ja, der sie aus Donnelaith errettete, nachdem ihre Mutter den Tod in den Flammen fand.«
    »Ja, ich weiß. Und ich weiß, daß Sie mir alles übermittelt haben, was meine Mutter Ihnen gesagt hat. Sie haben die Wahrheit gesagt. Ich frage mich nur, ob ich Ihnen erzählen soll, was Sie nicht wissen und nicht erraten können. Und ich denke an das, was meine Mutter mir über Sie erzählt hat: daß sie Ihnen alles offenbaren konnte.«
    »Es freut mich, daß sie so über mich sprach. Ich habe sie nie an irgend jemanden verraten.«
    »Außer an Ihren Orden. An Ihre Talamasca.«
    »Ah, aber das war kein Verrat.«
    Sie wandte sich ab.
    »Meine liebste Charlotte«, sagte ich. »Ich habe Ihre Mutter geliebt, glauben Sie mir. Ich habe sie angefleht, sich vor dem Geist und vor der Macht des Geistes zu hüten. Ich behaupte nicht, daß ich vorher gesehen habe, was ihr zugestoßen ist. Das habe ich nicht. Aber ich hatte Angst um sie. Ich hatte Angst vor ihrem Ehrgeiz, den Geist für ihre Zwecke zu benutzen…«
    »Ich will davon nichts weiter hören!« Sie war wieder erbost.
    »Was soll ich dann tun?« fragte ich.
    Sie dachte nach, doch anscheinend nicht über meine Frage. Schließlich sagte sie: »Ich werde niemals erleiden, was meine Mutter erlitt – oder ihre Mutter vor ihr.«
    »Darum bete ich. Ich bin über das weite Meer gekommen, um…«
    »Nein, aber Ihre Warnungen und Ihre Anwesenheit haben damit nichts zu tun. Ich werde dieses Schicksal nicht erleiden. Da war etwas Trauriges in meiner Mutter; sie war traurig und zerbrochen tief im Innern. Es war eine Wunde aus der Kindheit, die nie geheilt ist.«
    »Ich verstehe.«
    »Ich habe eine solche Wunde nicht. Ich war hier schon zu Hause, als ihr jene grauenvollen Dinge widerfuhren. Ich habe ein anderes Grauen vor Augen, und Sie werden es heute abend ebenfalls sehen, wenn Sie meinen Gemahl kennen lernen. Es gibt keinen Arzt auf der ganzen Welt, der ihn heilen könnte. Und auch keine weise Frau. Und ich habe nur einen gesunden Sohn von ihm, und das ist nicht genug… Doch man erwartet uns jetzt.« Sie stand auf, und ich tat es ihr nach. »Sagen Sie nichts über meine Mutter vor den anderen. Sagen Sie gar nichts. Sie sind gekommen, um mich zu besuchen…«
    »Weil ich Kaufmann bin und mich in Port-au-Prince niederlassen möchte, und weil ich dazu Ihren Rat einholen wollte.«
    Sie nickte müde. »Je weniger Sie sagen, desto besser.« Sie wandte sich ab und ging auf die Treppe zu.
    Mir war elend zumute. Was sollte ich mit ihren seltsamen Reden anfangen? Und sie selbst machte mich ratlos, wenn sie in diesem Augenblick wie ein kleines Mädchen und im nächsten wie eine alte Frau erschien. Ich konnte ihr nicht einmal zugute halten, daß sie meine Warnungen – besser gesagt, die Warnungen, die Deborah mich beschworen hatte zu überbringen – auch nur einen Augenblick lang bedacht hatte. Oder hatte ich zu viele Ratschläge hinein gemischt?
    »Madame Fontenay«, sagte ich, als wir oben an der kurzen Treppe vor der Haustür standen. »Wir müssen noch einmal mit einander reden. Habe ich Ihr Versprechen?«
    »Wenn man meinen Gemahl zu Bett gebracht hat«, sagte sie, »sind wir allein.« Bei diesen letzten Worten ließ sie ihren Blick auf mir verharren, und ich fürchte, leise Röte stieg mir ins Gesicht, als ich sie ansah; ich sah, daß auch ihre runden Wangen sich gerötet hatten, sah die Spannung ihrer Unterlippe und ihr spielerisches Lächeln.
    Wir betraten einen zentralen Hausflur mit mancherlei Stuckverzierung; auf einem prächtigen Kronleuchter erstrahlten lauter Wachskerzen, und am anderen Ende des Flures führte eine offene Tür auf eine Hinterveranda hinaus. Jenseits davon war gerade noch die Kante einer steil abfallenden Klippe zu erkennen; Laternen hingen an den Ästen der Bäume, genau wie im Garten vor dem Haus, und

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