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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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unzähligen Blumen stand und wartete; ihr zitronengelbes Satinkleid war ganz wie die zarten Blüten, die sie umgaben, und ihre Augen in dem jungen, feinen Gesicht fixierten mich schroff und vielleicht auch kalt, so daß sie – wenn Du es Dir vorstellen kannst – aussah wie ein hochgewachsenes, zorniges Kind.
    Als ich mit Hilfe des Lakaien auf die purpurnen Steinplatten hinunterstieg, kam sie näher, und erst jetzt sah ich, daß sie wirklich groß war für eine Frau, obgleich sie viel kleiner war als ich.
    Blond und schön fand ich sie, und jedem anderen, der sie gesehen hatte, war es ebenso ergangen – aber alle Beschreibungen hatten mich nicht auf den Anblick vorbereiten können, den sie mir bot. Ach, wenn Rembrandt sie je gesehen hätte, er hätte sie gemalt. So jung, und geistig doch so hart. Überaus reich gewandet war sie, mit Spitze und Perlen besetzt das Kleid, das den vollen Busen hoch angesetzt zur Schau stellte, halb nackt, könnte man fast sagen, und auch ihre Arme waren wunderschön geformt in den engen, spitzenbesetzten Ärmeln.
    Als wir einander gegenüber standen, war es, als gehe da etwas Wortloses und Beängstigendes zwischen uns hin und her. Diese Frau mit ihrem süßen und beinahe absurd jugendlichen Antlitz, mit den zarten Wangen und Lippen und den großen, unschuldigen blauen Augen musterte mich, als lauere tief in ihrem Inneren eine ganz andere Seele, alt und weise. Ihre Schönheit wirkte wie ein Zauberbann auf mich. Töricht starrte ich auf ihren langen Hals, auf die zarte Neigung ihrer Schultern und wiederum auf die wohlgeformten Arme.
    Blöde dachte ich, daß es herrlich sein müsse, die Daumen in das weiche Fleisch ihrer Arme zu pressen. Und mir war es, als betrachte sie mich ganz so, wie ihre Mutter mich viele Jahre zuvor betrachtet hatte, als ich in jener schottischen Herberge gegen den Teufel ihrer Schönheit gekämpft hatte, um nicht etwas Unverzeihliches zu tun.
    »Aha, Petyr van Abel«, sagte sie auf englisch mit einem Hauch von schottischem Akzent. »Sie sind also gekommen.« Und ich schwöre Dir, Stefan, es war Deborahs jugendliche Stimme. Wie oft mußten sie Englisch miteinander gesprochen haben – ja, vielleicht war es eine Geheimsprache zwischen ihnen gewesen.
    »Mein Kind«, antwortete ich in derselben Sprache, »ich danke Ihnen, daß Sie mich empfangen. Ich habe eine weite Reise unternommen, um Sie zu sehen, aber nichts hätte mich daran hindern können.«
    Die ganze Zeit jedoch maß sie mich kalten Blickes, als wäre ich ein Sklave auf der Versteigerung. Dies geschah kein bißchen verhohlen, sondern fast beleidigend direkt.
    »Sie sehen wirklich so ansehnlich aus, wie meine Mutter Sie geschildert hat«, stellte sie fest, halb nachdenklich und halb bei sich, die eine Braue hochgezogen. »Sie sind groß und gerade gewachsen und stark und kerngesund, nicht wahr?«
    »Mon dieu, Madame. Was für seltsame Worte«, sagte ich und lachte ein wenig unbehaglich. »Ich weiß nicht, ob Sie mir schmeicheln oder nicht.«
    »Es gefällt mir, wie Sie aussehen«, sagte sie, und ein ganz und gar seltsames Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, schlau und verächtlich, aber zugleich kindlich süß. Dabei verzog sie den Mund in leichter Bitterkeit, wie ein Kind es wohl tun möchte, wenn es schmollt, und ich fand es unsagbar zauberhaft. Versunken betrachtete sie mich, und schließlich sagte sie: »Kommen Sie, Petyr van Abel. Erzählen Sie mir, was Sie von meiner Mutter wissen. Erzählen Sie mir, was Sie über ihren Tod wissen. Und was immer Ihre Absichten sein mögen: Belügen Sie mich nicht.«
    Und eine große Verwundbarkeit wurde spürbar – als könnte ich sie jählings verletzen, und als wisse sie dies und habe nun Angst.
    Tiefe Zärtlichkeit erfüllte mich. »Ich bin nicht gekommen, um Sie zu belügen«, sagte ich. »Haben Sie überhaupt nichts gehört?«
    Sie schwieg einen Augenblick lang und sagte dann kalt: »Nein.« Es klang, als lüge sie. Ich sah, daß sie mich prüfend anschaute, so als wolle sie meine geheimsten Gedanken lesen.
    Sie führte mich zum Haus und neigte kaum merklich den Kopf, als sie meinen Arm ergriff. Selbst die Anmut in ihren Bewegungen fesselte mich, die Berührung ihres Kleides, als sein Saum mein Bein streifte. Sie warf keinen Blick auf die Sklaven, die den Weg säumten, ein ganzes Regiment, so schien es, und Laternen in die Höhe hielten, um uns zu leuchten. Hinter ihnen schimmerten die Blumen in der Dunkelheit, und auch die mächtigen Bäume vor dem

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