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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sehr langsam dämmerte mir, daß das Rauschen, das ich hörte, nicht der Wind war, sondern das sanfte Tosen des Meeres.
    Der Speiseraum zu unserer Rechten, den wir jetzt betraten, eröffnete einen noch besseren Blick auf die Klippen und die schwarze See dahinter, denn der Raum erfüllte das Haus in seiner ganzen Breite. Ein kleines Licht tanzte noch auf dem Wasser: sein matter Schein war wie ein ferner Gruß. Das Tosen drang auf das köstlichste in dieses Zimmer, und die Brise war feucht und warm.
    Das Zimmer selbst war prachtvoll: Jedes denkbare europäische Ausstattungsstück war herbeigeschafft worden, um die koloniale Schlichtheit zu überwinden. Der Tisch war mit feinstem Linnen bedeckt und mit schwerstem, auf das eleganteste geformtem Silber beladen.
    Nirgends in Europa habe ich je feineres Silber gesehen. Die Kandelaber waren schwer und mit schönen Mustern graviert. An jedem Platz lag eine spitzenbesetzte Serviette, und die Stühle waren mit feinstem Samt bezogen und mit Fransen drapiert. Über dem Tisch hing ein großer, viereckiger Holzfächer an einem Scharnier und wurde mittels einer Kordel von einem kleinen afrikanischen Knaben, der in der Ecke saß, in schwingende Bewegung versetzt.
    Kaum hatte ich auf dem Stuhl zur Linken des oberen Tafelendes Platz genommen, traten auch schon zahlreiche Sklaven ein, allesamt in europäische Seide und Spitze gekleidet, und machten sich daran, Platten auf den Tisch zu stellen. Und gleichzeitig erschien jetzt auch der junge Ehemann, von dem ich schon so viel gehört hatte.
    Seine Haltung war aufrecht, und seine Füße schleiften über den Boden, aber sein ganzes Gewicht lastete auf einem großen, muskelbepackten Schwarzen, der ihm einen Arm um die Taille geschlungen hatte. Seine Arme schienen ebenso schwach wie seine Beine zu sein; die Handgelenke waren gekrümmt, und die Finger baumelten kraftlos herab. Gleichwohl war er ein gutaussehender junger Mann in maßgeschneiderter, fürstlicher Kleidung; an seinen Fingern steckten edelsteinbesetzte Ringe, und seinen Kopf schmückte eine mächtige, wunderschöne Pariser Perücke, mit der er wirklich sehr hübsch anzusehen war. Seine grauen Augen blickten durch dringend, sein Mund war breit und schmallippig, sein Kinn sehr kräftig.
    Als er auf seinem Stuhl saß, begann er sich mühsam zu winden, als wolle er um der größeren Bequemlichkeit willen nach hinten rutschen; da ihm dies aber nicht gelingen wollte, schob der starke Sklave ihn zurecht, stellte den Stuhl dann so, wie sein Herr es haben wollte, und verharrte auf seinem Platz dicht hinter ihm.
    Charlotte hatte ihren Platz nicht am Ende der Tafel, sondern zur Rechten ihres Mannes, mir gegenüber, so daß sie ihn füttern und ihm helfen konnte. Zwei weitere Männer kamen herein, die Brüder Pierre und Andre, wie ich bald herausfinden sollte – beide berauscht und erfüllt von lallendem, trunkenem Humor -, und ihnen folgten vier bunt gekleidete Damen, zwei jung, zwei alt, Cousinen, wie es schien, und ständige Bewohnerinnen des Hauses.
    Gerade als man das Essen servieren wollte, kam noch ein Arzt herein, der von einer benachbarten Pflanzung herübergeritten war – ein ziemlich alter und zerstreuter Knabe, in düsterem Schwarz gekleidet wie ich. Sogleich lud man ihn ein, sich dazu zu gesellen, und er setzte sich und trank in großen Schlucken aus seinem Weinglas.
    Damit war die Gesellschaft vollständig. Jeder von uns hatte einen Sklaven hinter dem Stuhl, der Zugriff und unsere Teller von den Platten auf dem Tisch füllte und uns Wein nachschenkte, wenn wir nur einmal an unserem Glas genippt hatten.
    Der junge Ehemann plauderte sehr freundlich mit mir, und es war gleich klar, daß die Krankheit seinen Geist nicht im geringsten beeinträchtigte und daß er immer noch Appetit auf gutes Essen hatte, welches ihm von Charlotte wie auch von seinem Sklaven, dessen Name Reginald war, in den Mund geschoben wurde, wobei Charlotte den Löffel führte und Reginald das Brot brach. Tatsächlich verlangte es den Mann nach Leben, das war deutlich zu erkennen. Er bemerkte, daß der Wein ausgezeichnet sei und daß er ihn billige, und während er höflich mit der ganzen Gesellschaft plauderte, verspeiste er zwei Teller Suppe.
    Charlotte sprach vom Wetter und von den Geschäften der Plantage, daß ihr Mann morgen mit ihr hinausfahren müsse, um zu sehen, wie die Felder standen, daß das junge Sklavenmädchen, das sie im letzten Winter gekauft hätten, nun schon gute Fortschritte beim Nähen

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