Hexenstunde
mache, und so weiter und so fort. Die Plauderei fand überwiegend in französischer Sprache statt, und der junge Ehemann zeigte sich höchst angeregt und unterbrach sich häufig, um mir zahlreiche höfliche Fragen zu stellen: Wie meine Reise gewesen sei, wie es mir in Port-au-Prince gefalle, wie lange ich bei ihnen zu bleiben gedächte. Auch machte er wohlerzogene Bemerkungen über die Annehmlichkeiten des Landes sowie darüber, wie gut es ihnen hier in Maye Faire gehe, und daß sie vorhätten, die Nachbarpflanzung dazuzukaufen, sobald der Eigentümer, ein Spieler und Trunkenbold, sich zum Verkauf überreden ließe.
Nur die betrunkenen Brüder neigten zu Streitereien und machten mehrmals höhnische Bemerkungen; anscheinend war der Jüngste, Pierre, der nichts vom guten Aussehen seines siechen Bruders hatte, der Meinung, sie hätten genug Land und brauchten die Nachbarplantage nicht mehr, und Charlotte wisse mehr vom Geschäft des Pflanzerlebens, als eine Frau zu wissen brauche.
Durch solche Äußerungen ließ sich der laute und unangenehme Andre sich zu johlender Zustimmung hinreißen; unterdessen hatte er sich sein Spitzenjabeau mit Speise bekleckert, und auch sonst aß er mit vollgestopftem Mund und beschmierte sein Weinglas mit fettigen Lippen, wenn er trank. Er war dafür, überhaupt das ganze Land zu verkaufen, wenn der Vater erst tot wäre, und nach Frankreich zurückzufahren.
Darauf erhob sich ein großes Wortgefecht: Alle redeten durcheinander, und eine der gebrechlichen alten Damen wollte sofort wissen, um was es denn gehe.
Schließlich hob die andere alte Frau – eine Hexe, wenn es je eine gegeben hat – unvermittelt den Kopf. Die ganze Zeit hatte sie mit der Konzentration eines geschäftigen Insekts die Speisen von ihrem Teller gepickt, doch jetzt rief sie den betrunkenen Brüdern zu: »Keiner von euch ist in der Lage, diese Pflanzung zu führen!« Die betrunkenen Brüder antworteten darauf mit wüstem Gelächter, während die beiden jungen Frauen das ganze Geschehen mit großem Ernst verfolgten; furchtsam richteten sich ihre Blicke auf Charlotte und streiften dann sanft über den fast gelähmten und bewegungsunfähigen Ehemann, dessen Hände wie tote Vögel neben seinem Teller lagen.
Die Alte aber, die offenbar billigte, wie man auf ihre Worte reagierte, gab eine weitere Erklärung ab: »Charlotte ist es, die hier regiert!« Dies veranlaßte die Frauen zu weiteren furchtsamen Blicken, die betrunkenen Brüder zu neuerlichem Hämegelächter und den verkrüppelten Antoine zu einem gewinnenden Lächeln.
Dann aber geriet der arme Kerl in höchste Erregung, so daß er sogar zu zittern begann; Charlotte indessen sprach hastig von anderen Dingen. Von neuem befragte man mich nach meiner Reise, nach dem Leben in Amsterdam und der derzeitigen Lage der Dinge in Europa im Hinblick auf die Einfuhr von Kaffee und Indigo, und ich erfuhr, daß ich des Lebens auf einer Pflanzung bald genug überdrüssig werden würde, denn alle Welt sei hier nur mit Essen und Trinken und der Suche nach Vergnügungen befaßt. Schließlich unterbrach Charlotte sanft das Gespräch und befahl dem schwarzen Sklaven Reginald, den alten Herrn herunter zuholen.
»Er hat den ganzen Tag mit mir gesprochen«, sagte sie leise, aber mit einem unbestimmt triumphierenden Ausdruck zu den anderen.
»In der Tat, ein Wunder!« erklärte der betrunkene Andre, der inzwischen dazu übergegangen war, wie ein Schwein ohne die Hilfe von Messer und Gabel zu essen.
Der alte Doktor betrachtete Charlotte mit schmalen Augen; es bekümmerte ihn nicht, daß er sich sein Spitzenhemd mit Speise betropft hatte und daß der Wein aus dem Glase schwappte, welches er mit unsicherer Hand hielt – die Möglichkeit, daß er es überhaupt fallenließe, gewann zusehends an Wahrscheinlichkeit. Der junge Sklave hinter ihm beobachtete die Sache mit banger Sorge.
»Was heißt das, er hat den ganzen Tag mit Ihnen gesprochen?« wollte der Arzt wissen. »Er war bewußtlos, als ich ihn das letztemal sah.«
»Das ändert sich stündlich«, erklärte eine der Cousinen.
»Der stirbt nie!« brüllte die alte Frau.
Da kam Reginald wieder herein; er stützte einen großen, grauhaarigen und ganz ausgemergelten Mann, der dem Sklaven einen dünnen Arm um die Schulter geschlungen hatte. Sein Kopf baumelte kraftlos herab, aber seine hellen Augen fixierten uns alle nach einander.
Man setzte ihn auf den Stuhl am Ende der Tafel, ein bloßes Skelett, und da er sich nicht allein aufrecht
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