Hexenstunde
Haus.
Kurz vor der Vordertreppe bogen wir ab und folgten dem Plattenweg zu den Bäumen, und hier gelangten wir zu einer Holzbank.
Ich setzte mich auf ihr Geheiß. Ringsum brach die Nacht herein; die Laternen, die hier und da hingen, brannten hell und gelb, und das Haus selbst verströmte ein noch stärker funkelndes Licht.
»Sagen Sie, wie ich anfangen soll, Madame«, bat ich. »Ich bin Ihr Diener. Wie möchten Sie es hören?«
»Geradeheraus«, sagte sie, und sie fixierte mich von neuem. Gefaßt saß sie neben mir, leicht mir zugewandt, die Hände im Schoß gefaltet.
»Sie starb nicht in den Flammen. Sie stürzte sich vom Kirchendach und starb, als sie auf das Pflaster schlug.«
»Ah, Gott sei Dank!« flüsterte sie. »Dies aus menschlichem Munde zu hören…«
Einen Augenblick lang dachte ich über diese Worte nach. Sollte das heißen, daß dieser Geist es ihr bereits erzählt und daß sie ihm nicht geglaubt hatte? Sie war sehr niedergeschlagen, und ich wußte nicht, ob ich weiterreden sollte.
Aber ich fuhr fort. »Ein mächtiges Unwetter brach über Montcleve herein«, berichtete ich, »herauf beschworen von Ihrer Mutter. Ihre Brüder kamen dabei ums Leben. Die alte Comtesse ebenfalls.«
Sie sagte nichts, sondern blickte nur gerade vor sich hin; ihre Miene war schwer von Trauer, vielleicht auch von Verzweiflung. Wie ein Kind sah sie aus, überhaupt nicht wie eine Frau.
Ich sprach weiter; aber jetzt ging ich in meinem Bericht ein wenig zurück und erzählte, wie ich in die Stadt gekommen war, wie ich ihre Mutter besucht hatte, und was ihre Mutter mir über den Geist Lasher gesagt hatte: daß er ohne Deborahs Wissen den Tod des Comte verursacht habe, daß sie ihn deshalb getadelt habe, und was der Geist daraufhin zu seiner Verteidigung vorgebracht habe. Und daß Deborah gewollt habe, daß sie es wisse und gewarnt sei.
Ihr Antlitz verfinsterte sich, als sie mir zuhörte, und sie sah mich immer noch nicht an. Ich legte dar, was die Warnung ihrer Mutter meiner Meinung nach zu bedeuten hatte und was ich von diesem Geist dachte, und daß kein Magier je von einem Geist geschrieben habe, der lernen könne.
Noch immer saß sie stumm und regungslos da. Ihr Gesicht war so tiefdunkel geworden, daß es aussah, als koche sie vor Wut. Als ich schließlich versuchte, das Thema wieder aufzunehmen, und erklärte, ich verstünde schon etwas von Geistern, da fiel sie mir ins Wort. »Sprechen Sie nicht mehr davon«, sagte sie. »Und sprechen Sie niemals mit irgend jemandem hier darüber.«
»Nein, natürlich nicht«, versicherte ich hastig, und ich erzählte sodann, was sich nach meiner Begegnung mit Deborah zugetragen hatte, und ich schilderte ihren Todestag in allen Einzelheiten und ließ nur aus, daß ich Louvier vom Dach gestoßen hatte; ich bedeutete ihr bloß, daß er auch gestorben sei.
Sie schwieg lange. Fast schien es, als wolle sie weinen, doch das tat sie nicht. Schließlich flüsterte sie: »Die Leute glauben, ich hätte meine Mutter im Stich gelassen, aber Sie wissen, daß das nicht stimmt!«
»Das weiß ich, Madam«, sagte ich. »Ihre Mutter hat Sie fortgeschickt.«
»Sie hat mir befohlen, weg zu gehen!« sagte sie beschwörend. »Befohlen.« Sie holte tief Luft und fuhr fort: »›Geh fort, Charlotte‹, sagte sie, ›denn wenn ich dich vor mir oder mit mir sterben sehen muß, dann ist mein Leben vergebens. Ich will dich nicht mehr hier haben, Charlotte. Wenn ich verbrannt werde, so kann ich es nicht ertragen, daß du es mit an siehst oder das gleiche Schicksal erleidest.‹ Und ich tat, was sie mir sagte.« Wieder verzogen sich ihre Lippen zu diesem Schmollmund, und es sah aus, als wolle sie in Tränen ausbrechen. Aber dann gewann der Zorn wieder die Oberhand.
»Ich habe Ihre Mutter geliebt«, bekannte ich.
»Ja, das weiß ich«, sagte sie. »Sie haben sich alle gegen sie gewandt, ihr Mann und meine Brüder.«
Ich merkte wohl, daß sie den Mann nicht ihren Vater nannte, aber ich schwieg dazu. Ich wußte immer noch nicht, ob ich dazu überhaupt etwas sagen sollte oder nicht.
»Was kann ich sagen, um Ihr Herz zu trösten?« fragte ich. »Sie sind alle bestraft. Sie erfreuen sich nicht mehr des Lebens, welches sie Deborah nahmen.«
»Ah, das ist gut ausgedrückt.« Und sie lächelte mich bitter an und biß sich auf die Unterlippe. Ihr Gesicht sah dabei so zart und weich aus, so sehr verletzlich, daß ich mich hinüberbeugte und sie küßte, und sie ließ es gesenkten Blicks geschehen.
Sie schien
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