Hexenstunde
halten konnte, band man ihn mit seidenen Schärpen fest. Der Sklave Reginald, der ein wahrer Künstler in diesen Dingen zu sein schien, hielt das Kinn des Mannes hoch, da dieser seinen Kopf nicht allein tragen konnte.
Sogleich begannen die Cousinen auf ihn einzuschwatzen, daß es gut sei, ihn so wohlauf zu sehen. Sie betrachteten ihn aber mit Staunen, und der Doktor tat es ebenfalls, und als der alte Mann dann zu sprechen begann, tat ich es auch.
Eine Hand hob sich mit einer baumelnden, ruckartigen Bewegung vom Tisch und fiel krachend wieder herunter. Im selben Augenblick öffnete sich sein Mund; das Gesicht blieb allerdings völlig glatt, und nur der Unterkiefer klappte herunter. Hohl und tonlos erklangen seine Worte.
»Ich bin weit entfernt vom Tode und will auch nichts davon hören!« Und wieder hob sich die Hand wie in einem Krampf und schlug laut auf den Tisch.
Charlotte beobachtete das alles mit schmalen, glitzernden Augen. Ja, jetzt sah ich zum erstenmal, wie konzentriert sie war und wie sich ihre ganze Aufmerksamkeit nur noch auf das Gesicht des Mannes und auf seine schlaffe Hand richtete.
»Mon dieu, Antoine«, rief der Doktor, »Sie können uns nicht verdenken, daß wir uns Sorgen machen.«
»Mein Verstand ist so gut wie eh und je!« erklärte das alte Geschöpf mit der gleichen tonlosen Stimme, und dann drehte sich der Kopf sehr langsam, als sei er aus Holz und rotiere knarrend in einem Scharnier. Sein Blick ging von links nach rechts und richtete sich dann auf Charlotte. Der Mund lächelte schief.
Erst als ich mich vorbeugte, so daß die Kerzen vor mir mich nicht mehr blenden konnten, während ich dieses seltsame Schauspiel bestaunte, erst da sah ich, daß seine Augen blutunterlaufen waren und daß sein Gesicht in der Tat wie gefroren aussah; die mimischen Veränderungen, die darauf hervorbrachen, waren wie feine Risse in einer Eisschicht.
»Ich habe Vertrauen zu dir, meine geliebte Schwiegertochter«, sagte er zu Charlotte, und diesmal resultierte das Fehlen jeglicher Modulation in großer Lautstärke.
»Ja, mon père«, sagte Charlotte voller Liebreiz. »Und ich werde für dich sorgen; dessen sollst du sicher sein.«
Sie lehnte sich zu ihrem Mann hinüber und drückte seine nutzlose Hand. Dieser starrte seinen Vater argwöhnisch und angstvoll an.
»Aber Vater, hast du denn keine Schmerzen?« fragte er leise.
»Nein, mein Sohn«, sagte der Vater. »Keine Schmerzen, niemals Schmerzen.« Und dies erschien wie Trost und Antwort zugleich, denn für den Sohn war dieser Anblick sicher so etwas wie eine Prophezeiung. Oder etwa nicht?
Denn als ich diese Kreatur betrachtete, als ich sah, wie sie noch einmal den Kopf drehte, einer Puppe gleich, die aus hölzernen Teilen gemacht war, da wußte ich, daß da gar nicht der Mann zu uns sprach, sondern etwas in ihm, das von ihm Besitz ergriffen hatte. Und im Augenblick dieser Erkenntnis gewahrte ich auch den wahren Antoine Fontenay, gefangen in diesem Körper, unfähig, seine eigenen Stimmbänder noch zu benutzen: Voller Angst starrte er durch grauenerfüllte Augen zu mir heraus.
Es war nur ein kurzer Moment, aber ich sah es doch. Und im selben Augenblick wandte ich mich zu Charlotte um, und sie starrte mich kalt und trotzig an, als fordere sie mich heraus, nur immer zuzugeben, was ich da erkannt habe. Auch der Alte starrte mich an, und so plötzlich, daß alle erschraken, stieß er ein lautes, gackerndes Gelächter aus.
»Oh, um der Liebe Gottes willen, Antoine!« rief die hübsche Cousine aus.
»Vater, nimm einen Schluck Wein«, bat kraftlos sein ältester Sohn.
Der schwarze Reginald griff nach dem Glas, doch der Alte hob plötzlich beide Hände und ließ sie dröhnend wieder auf den Tisch fallen; dann hob er sie wieder, nahm mit glitzernden Augen das Weinglas wie zwischen zwei Pfoten, hob es an den Mund und kippte sich den Inhalt ins Gesicht, so daß ihm der Wein in den Mund schwappte und über das Kinn troff.
Die Gesellschaft war entsetzt. Der schwarze Reginald war entsetzt. Nur Charlotte beobachtete das Kunststück mit schmalem, stählernem Lächeln und sagte dann: »Gut, Vater, und jetzt zu Bett.« Sie erhob sich vom Tisch.
Reginald wollte das Glas auffangen, denn der Alte ließ es unvermittelt los, und seine Hände fielen dumpf auf den Tisch. Aber das Glas kippte um, und der Wein spritzte über das Tischtuch.
Noch einmal brach der starre Mund auf, und die hohle Stimme ertönte. »Ich bin dieser Unterhaltung müde. Ich will nun gehen.«
»Ja,
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