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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wenn man es in Worte faßt. Manchmal sah ich mich selbst als wahnsinnigen Lear auf der Heide, wie er sich Blumen ins Haar steckt und König der Wildnis ist, sonst gar nichts.
    Und endlich, eines späten Nachmittags, als das Licht schon schwand, weckte mich das würzige Aroma eines heißen Abendessens, und da wußte ich, daß ich den ganzen Tag betrunken gewesen und daß sie nicht gekommen war.
    Ich verschlang das Essen – denn der Trunk kann meinem Hunger nie etwas anhaben -, und dann kleidete ich mich frisch und setzte mich hin, um zu bedenken, was aus mir geworden war, und um aus zu rechnen, wie lange ich eigentlich schon hier sei.
    Zwölf Tage, dachte ich.
    Da beschloß ich, daß ich nichts mehr trinken würde, ganz gleich, wie groß meine Niedergeschlagenheit werden mochte. Ich mußte freigelassen werden, oder ich würde dem Wahnsinn verfallen.
    Und voller Ekel ob all meiner Schwäche zog ich die Stiefel an, die ich die ganze Zeit nicht angerührt hatte, und den neuen Rock, den Charlotte mir vor so langer Zeit gebracht hatte, und dann trat ich an die Balustrade und schaute hinaus auf die See. Sicher wird sie mich eher töten lassen, dachte ich, als daß sie mich gehen läßt. Aber ich mußte nun Gewißheit haben. So konnte ich es jedenfalls nicht länger ertragen.
    Viele Stunden vergingen; ich trank nichts. Dann kam Charlotte. Sie war müde, denn sie war den ganzen Tag geritten und hatte sich um die Plantage gekümmert, und als sie sah, daß ich angekleidet war und Hut und Rock trug, da sank sie auf einen Stuhl und weinte.
    Ich sagte nichts, denn es war ohne Zweifel ihre und nicht meine Entscheidung, ob ich diesen Ort verließ oder nicht.
    Dann sagte sie: »Ich habe ein Kind empfangen. Ich bin schwanger.«
    Wieder antwortete ich nicht. Aber ich wußte es. Ich wußte, dies war der Grund, weshalb sie so lange fort gewesen war.
    Sie saß nur noch da, niedergeschlagen und betrübt, und weinte mit gesenktem Kopf; schließlich sagte ich:
    »Charlotte, laß mich gehen.«
    Endlich antwortete sie. Ich müsse ihr schwören, die Insel sofort zu verlassen. Und ich dürfe niemandem erzählen, was ich über ihre Mutter wisse, und auch nichts von dem, was zwischen uns geschehen sei.
    »Charlotte«, antwortete ich, »ich werde mit dem ersten holländischen Schiff, das ich im Hafen finde, nach Amsterdam segeln, und du wirst mich nie wiedersehen.«
    »Aber du mußt mir schwören, daß du niemandem etwas erzählst – nicht einmal deinen Brüdern in der Talamasca.«
    »Sie wissen Bescheid«, sagte ich. »Und ich werde ihnen weiter alles berichten, was geschehen ist. Sie sind für mich Vater und Mutter.«
    »Petyr«, weinte sie, »hast du nicht einmal soviel Verstand, mich anzulügen?«
    Endlich trocknete sie ihre Augen. »Ich habe ihm den Schwur abgenommen, daß er dir niemals etwas antun wird. Er weiß, daß ich ihm all meine Liebe und mein Vertrauen entziehen werde, wenn er meinem Befehl nicht gehorcht.«
    »Da hast du einen Pakt mit dem Wind geschlossen«, entgegnete ich.
    »Petyr, versprich mir alles! Laß mich dein Versprechen hören.«
    Ich dachte nach, denn ich wollte frei sein von diesem Ort, und ich wollte leben, und ich dachte noch immer, daß beides möglich sein müsse. Schließlich sagte ich:
    »Charlotte, ich werde dir nie etwas Böses antun. Meine Brüder und Schwestern in der Talamasca sind weder Priester noch Richter. Und sie sind auch keine Hexen und Zauberer. Was immer sie über dich wissen, ist geheim im wahren Sinne des Wortes.«
    Mit traurigen, tränenfeuchten Augen sah sie mich an, und dann kam sie zu mir und küßte mich, und so sehr ich mich bemühte, starr wie eine hölzerne Statue zu verharren, es gelang mir doch nicht.
    »Noch einmal, Petyr, noch einmal mit deinem ganzen Herzen«, bat sie, und ihre Stimme war voll Trauer und Sehnsucht. »Danach magst du mich für allezeit verlassen, und ich werde nie wieder in deine Augen blicken, bis ich eines Tages in die Augen unseres Kindes blicken kann.«
    Ich begann von neuem, sie zu küssen, denn ich glaubte ihr, daß sie mich gehen lassen wolle. Ich glaubte ihr, daß sie mich liebe, und ich glaubte in dieser letzten Stunde, da wir beieinander lagen, daß es für uns vielleicht wirklich keine Gesetze gebe, wie sie gesagt hatte, und daß zwischen uns eine Liebe sei, die vielleicht niemand je verstehen würde.
    Und als ich mich wieder ankleidete, kehrte sie das Gesicht in die Kissen und weinte.
    Ich ging zur Tür und entdeckte, daß sie hinter ihr nicht verriegelt

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