Hexenstunde
sei tot. Zwölf Stunden, nachdem er sich, wie bekannt war, am Mietstall ein Pferd hatte geben lassen und aus Port-au-Prince fortgeritten war, hatte man seinen Leichnam entdeckt.
Die örtlichen Behörden nahmen an, daß man Petyr auf der Landstraße übel mitgespielt habe; vielleicht sei er frühmorgens einer Horde entsprungener Sklaven über den Weg gelaufen, die womöglich dabei gewesen seien, einen Friedhof, auf dem sie schon einen oder zwei Tage zuvor beträchtliche Verwüstungen angerichtet hätten, neuerlich zu schänden.
Petyr war anscheinend geschlagen und in eine große, gemauerte Krypta getrieben worden, wo ihm ein umgestürzter Baum und viel schwerer Schutt den Ausgang versperrt hatten. Als man ihn fand, waren die Finger seiner rechten Hand in den Schutt gewühlt, als habe er versucht, sich einen Weg ins Freie zu graben. Zwei Finger seiner Linken waren abgetrennt und wurden nie gefunden.
Die Schuldigen für die Friedhofsschändung und den Mord wurden nie ermittelt. Daß Petyrs Geld, seine goldene Taschenuhr und seine Papiere nicht gestohlen wurden, ließ seinen Tod desto mysteriöser erscheinen.
Van Clausen brachte Petyrs Habe zum Mutterhaus, und auf Geheiß des Ordens begann er, die Umstände von Petyrs Tod eingehender zu untersuchen.
Im Grunde wurde dabei aber nichts wirklich Entscheidendes zutage gefördert – außer, daß man Petyr an seinem letzten Tag in Port-au-Prince für verrückt gehalten hatte, weil er dauernd darum gebeten hatte, Briefe nach Amsterdam schicken zu dürfen, und wegen seiner wiederholt ausgesprochenen Verfügung, im Falle seines Todes sei das Mutterhaus in Kenntnis zu setzen.
Mehrmals wird angemerkt, er habe sich in Gesellschaft eines unbekannten, dunkelhaarigen jungen Mannes befunden, mit dem er sich ausführlich unterhalten habe.
17
DIE AKTE ÜBER DIE MAYFAIR-HEXEN
TEIL V
Die Familie Mayfair von 1689 bis 1900
Zusammenfassung von Aaron Lightner
Nach Petyrs Tod entschied Stefan Franck, daß zu seinen Lebzeiten kein weiterer Kontakt mit den Mayfair-Hexen aufgenommen werden solle. Seine Nachfolger, Martin Geller und Richard Kramer, beließen es bei dieser Entscheidung.
Zwar baten zahlreiche Mitglieder den Orden um die Erlaubnis, einen Kontaktversuch zu unternehmen, aber der Beschluß des aufsichtführenden Vorstands fiel stets einstimmig dagegen aus, und so behielt der Bann, der aus Vorsicht getroffen wurde, bis ins zwanzigste Jahrhundert Geltung.
Indes setzte der Orden seine Beobachtung der Mayfair-Hexen aus der Ferne fort. Immer wieder suchte man um Informationen bei Personen in der Kolonie nach, die den Grund für derartige Fragen niemals kannten.
UNTERSUCHUNGSMETHODEN:
Im Laufe dieser Jahrhunderte entwickelte die Talamasca ein ganzes Netzwerk von »Beobachtern« überall auf der Welt. In Saint Domingue gab es mehrere Personen, die solche Informationen lieferten, darunter holländische Kaufleute, die glaubten, daß die Erkundigungen, auf die sie antworteten, rein finanzieller Natur seien; etlichen anderen in der Kolonie sagte man nur, daß Leute in Europa für Informationen über die Familie Mayfair teures Geld bezahlten. Professionelle Ermittler, die dem Privatdetektiv des zwanzigsten Jahrhunderts vergleichbar gewesen wären, gab es damals noch nicht. Dennoch konnte eine erstaunliche Menge an Erkenntnissen gesammelt werden.
Die Kenntnisse über das Vermächtnis der Mayfairs wurden heimlich und vermutlich auf illegale Weise beschafft, indem die Mitarbeiter der beteiligten Bankinstitute bestochen wurden, so daß sie Einblick in die Vorgänge gewährten. Die Talamasca hat sich solcher Methoden zur Erlangung von Informationen schon immer bedient, und sie war in der Vergangenheit in diesen Fragen kaum weniger skrupellos als heute. Die übliche Entschuldigung war früher wie heute, daß die Unterlagen, die auf diese Weise in unseren Besitz gelangen, normalerweise sowieso von Dutzenden Menschen in verschiedenen Eigenschaften gesehen würden. Niemals wurden Privatbriefe entwendet, und niemals wurde die Unantastbarkeit des Heims oder des Geschäfts eines Menschen auf verbrecherische Weise verletzt.
Hin und wieder gab es Hinweise darauf, daß die Mayfairs von unserer Existenz und unseren Beobachtungen wußten. Mindestens ein Beobachter – ein Franzose, der eine Weile als Aufseher auf der Mayfairschen Pflanzung in Saint Domingue tätig war – starb eines verdächtigen, gewaltsamen Todes. Dies führte nur zu größerer Geheimhaltung und
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