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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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geht er in seiner Menschengestalt. Er sitzt bald in der einen Ecke, bald in der anderen, und einmal spähte er sogar aus dem Spiegel zu mir heraus. Stefan, wie kann der Geist nur so etwas zuwege bringen? Täuscht er meine Augen? Ich weigerte mich aber, hinzuschauen, und bald war das Bild wieder verschwunden.
    Er hat jetzt angefangen, die Möbel hin und her zu schieben und wieder das Geräusch flatternder Schwingen zu machen. Ich muß aus diesem Zimmer flüchten; ich werde gehen und diesen Brief mit allem anderen aufgeben.
    Der Eure in der Talamasca,
    Petyr.
     
Stefan,
    der Morgen graut, und alle meine Briefe sind auf dem Weg zu dir. Das Schiff ist vor einer Stunde in See gestochen, und so gern ich mitgefahren wäre, ich wußte doch, daß ich es nicht darf. Denn wenn dieses Ding darauf aus ist, mich zu vernichten, dann soll es lieber hier sein Spiel mit mir treiben, derweil meine Briefe sicher zu dir gelangen.
    Ich fürchte zudem, das Wesen könnte stark genug sein, ein Schiff zu versenken, denn kaum hatte ich einen Fuß an Bord gesetzt, um mit dem Kapitän zu sprechen und mich zu vergewissern, daß meine Briefe wohlverwahrt befördert werden würden, als auch schon Wind aufkam und Regen an die Luken prasselte und das ganze Schiff in Bewegung geriet.
    Meine Vernunft sagte mir, daß der Dämon nicht die Kraft habe, die nötig sei, um das Schiff untergehen zu lassen. Aber wenn ich mich nun irrte?
    Es darf nicht sein, daß ich den Anlaß gebe und anderen solcher Schaden zugefügt werde.
    So bin ich hier geblieben und sitze nun in einer überfüllten Schänke in Port-au-Prince – die zweite schon, die ich heute vormittag aufsuche -, denn ich wage nicht, allein zu sein.
    Im ersten Wirtshaus bin ich eingeschlafen – für ein Viertelstündlein vielleicht -, und ich erwachte, weil Flammen ringsum loderten. Doch es war nur die Kerze umgekippt und in eine Brandypfütze gefallen.
    Man gab mir die Schuld an der Sache und forderte mich auf, mein Geld woanders auszugeben.
    Und im Schatten hinter dem Kamin stand der Dämon. Es schien, als wolle er grinsen, wenn er sein wächsernes Antlitz nur hätte bewegen können.
    Und ich bin so müde, Stefan. Ich ging wieder hinauf in meine Kammer und versuchte zu schlafen, doch er schleuderte mich aus meinem Bett.
    Selbst hier in diesem öffentlichen Raum voll später Zecher und früher Reisender treibt er seine Possen mit mir, und niemand merkt etwas, denn sie wissen ja nicht, daß das Abbild Roemers, das dort am Feuer sitzt, gar nicht wirklich da ist, oder daß die Frau, die dort, von wenigen zur Kenntnis genommen, auf der Treppe erscheint, Geertruid ist – tot seit zwanzig Jahren. Das Wesen entreißt diese Bilder gewiß meinen Gedanken und bläst sie irgend wie auf, wenngleich mir rätselhaft ist, wie es das vermag.
    Ich habe versucht, mit ihm zu reden. Auf offener Straße habe ich es angefleht, mir zu sagen, was es will. Kann ich hoffen, weiterzuleben? Was kann ich ihm zu Gefallen tun, damit es seine üblen Spiele einstellt? Und was hat Charlotte ihm befohlen?
    Und als ich mich hier hingesetzt und meinen Wein bestellt hatte – denn es verlangt mich wieder danach, und ich trinke zuviel davon -, da sah ich, wie es meine Feder bewegte und auf mein Papier kritzelte, und ich las: »Petyr wird sterben.«
    Ich füge meinem Brief diesen Zettel bei, denn es ist die Handschrift eines Geistes. Vielleicht kann Alexander seine Hände auf das Papier legen und etwas dabei erfahren. Denn ich erfahre nichts von diesem törichten Dämon – außer daß er und ich zusammen Bilder erschaffen können, die genügt hätten, um Jesus im Wahnsinn aus der Wüste flüchten zu lassen.
    Ich weiß jetzt, daß es nur noch eine Rettung für mich geben kann. Sobald ich dieses Schreiben vollendet und dem Agenten anvertraut habe, werde ich zu Charlotte zurück kehren und sie anflehen, dem Dämon Einhalt zu gebieten. Mit nichts anderem wird er sich begnügen, Stefan.
    Nur Charlotte kann mich retten. Und ich bete darum, daß ich Maye Faire unversehrt erreichen möge.
    Doch eine schreckliche Befürchtung plagt mich, mein Freund, nämlich die, daß Charlotte weiß, was dieser Teufel mit mir anstellt, und daß sie ihm befohlen hat, es zu tun. Daß Charlotte die Urheberin dieses ganzen diabolischen Planes ist.
    So du nichts mehr von mir hörst – und ich will noch einmal daran erinnern, daß täglich holländische Schiffe von hier nach unserer schönen Stadt segeln -, sollst Du folgendes tun:
    Schreibe der Hexe und berichte

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