Hexenstunde
zu folgen: eine Legion gräßlicher Leichen, wie von Drähten gezogen.
Wieder raffte ich mich auf; wieder ging ich weiter. Meinen Rock trug ich jetzt in der Hand, denn er war verschmiert von der Schlacht, und mein Hut – ach, mein unbezahlbarer Hut war verlorengegangen. In kürzester Zeit hatte ich die Toten hinter mir gelassen. Vermutlich ließ er sie schließlich fallen, nachdem er mit ihnen sein Spiel getrieben hatte.
Inzwischen taten mir die Füße weh, und meine Brust brannte von der Anstrengung. Ich sah, daß meine Ärmel vom Kampf besudelt waren, und der Geruch würde mir bis Port-au-Prince anhängen. Aber es war still und ruhig ringsumher. Das Ding ruhte! Es hatte sich erschöpft. Also hatte ich jetzt keine Zeit, mir über den Gestank und über meine Kleidung den Kopf zu zerbrechen. Ich mußte weitereilen.
Der Himmel wurde hell. Ich hörte Karren auf der Straße hinter mir und sah, daß die Felder zur Linken und zur Rechten allmählich erwachten. Ja, und als ich die Kuppe einer Anhöhe erreichte, sah ich die Kolonialstadt vor mir liegen, und ich tat einen mächtigen Seufzer.
Jetzt kam einer der Karren heran, ein kleines wackliges Holzwägelchen, beladen mit Obst und Gemüse für den Markt, gefahren von zwei hellhäutigen Mulatten; sie verharrten und starrten mich an, und da gab ich ihnen in meinem besten Französisch zu verstehen, daß ich ihre Hilfe brauchte, und daß Gott sie segnen würde, wenn sie mich mitnähmen. Dann reichte ich ihnen auch noch ein paar Livres, die sie voller Dankbarkeit in Empfang nahmen, und kletterte hinten auf den Karren.
Ich ließ mich in einen großen Haufen Obst und Gemüse sinken und schlief ein. Der Karren rumpelte unter mir und schleuderte mich umher, aber es war doch eine Fahrt wie in der feinsten Kutsche.
Dann überkam mich ein Traum, und ich glaubte mich daheim in Amsterdam. Ich fühlte, wie eine Hand die meine berührte. Eine sanfte Hand. Sie tätschelte meine Linke, und ich hob die Rechte, um sie in gleicher Weise zu liebkosen, und öffnete die Augen. Als ich aber den Kopf nach links drehte, gewahrte ich den verkohlten und geschwärzten Leib meiner Deborah, die mir entgegenspähte, kahl und runzlig. Nur die blauen Augen waren lebendig, und Zähne grinsten hinter verbrannten Lippen.
Ich schrie so laut, daß ich die beiden Fahrer und das Pferd erschreckte. Aber gleichviel, ich war schon auf die Straße heruntergefallen. Das Pferd ging durch, und sie konnten es nicht zügeln, und bald waren sie weit vor mir und verschwanden über die Anhöhe.
Mit gekreuzten Beinen hockte ich da und weinte. »Du verdammungswürdiger Geist! Was willst du denn von mir? Sag es mir? Warum tötest du mich nicht? Gewiß steht es doch in deiner Macht, wenn du solche Dinge vermagst.«
Keine Stimme antwortete mir. Aber ich wußte, er war da. Und als ich aufblickte, sah ich ihn – und nicht in greulicher Gestalt diesmal. Es war wieder der dunkelhaarige Mann in seinem Lederwams, der gutaussehende Mann, den ich schon zweimal gesehen hatte.
Und unversehens starrte ich ihn an, studierte ihn, als gebe es nichts zu fürchten. Und jetzt sah ich etwas, das ich unbedingt verstehen mußte.
Er war keine Illusion, wie er da auf dem Zaun saß. Es war sein eigener Körper, ein Körper, den dieses Ding sich gemacht hatte.
»Ja«, sagte er, und wieder bewegten seine Lippen sich nicht. Ich verstehe jetzt, warum: Er konnte es noch nicht. »Aber ich werde es können«, sagte er. »Ich werde es können.«
Ich starrte ihn unausgesetzt an. Vielleicht vor Erschöpfung hatte ich meinen Verstand verloren. Aber ich fühlte keine Furcht. Und als die Morgensonne heller wurde, sah ich, daß sie durch ihn hindurchschien! Ich sah die Partikel, aus denen er gemacht war, in seiner Gestalt wirbeln wie Staubkörnchen.
»Staub bist du«, wisperte ich eingedenk des alten biblischen Satzes. Aber da hatte er schon begonnen, sich aufzulösen. Er wurde blaß, und dann war da nichts mehr, und die Sonne stieg über den Feldern herauf, schöner als irgendeine Morgensonne, die ich je gesehen hatte.
War Charlotte erwacht? Hatte Charlotte seine Hand im Zaum gehalten? Ich wußte es nicht. Vielleicht werde ich es nie wissen. Weniger als eine Stunde später erreichte ich mein Quartier, nachdem ich mit dem Agenten und noch einmal mit dem Wirt gesprochen habe, wie ich es schon berichtet habe.
Und jetzt ist es lange nach Mitternacht. Und der Dämon hat das Zimmer seit einer Weile nicht mehr verlassen. Seit über einer Stunde kommt und
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