Hexenstunde
Kräfte verstanden oder zu einem bestimmten Zweck eingesetzt hätten. Nach allem, was wir wissen, stehen sie in keinerlei Verbindung zu den Hexen, dem Vermächtnis, dem Smaragd – oder zu Lasher.
Es geht die Sage, daß alle Mayfairs es »fühlen«, wenn die Trägerin des Vermächtnisses stirbt.
Abkommen der Familie Mayfair fürchten Charlotte, die die Vormundschaft über die gegenwärtige Vermächtnisträgerin Deirdre Mayfair ausübt, und betrachten sie als »Hexe«, aber in diesem Fall steht das Wort eher in umgangssprachlicher Bedeutung für eine »unangenehme Frau« und hat wohl nichts mit dem Übernatürlichen zu tun.
ZUSAMMENFASSUNG DES MATERIALS ZU
DEN JAHREN AUF SAINT DOMINGUE
Um zu einer Einschätzung der Familie im achtzehnten Jahrhundert zu gelangen, zeichnet sie sich hier unbestreitbar durch Stärke, Erfolg und Reichtum aus, durch lange Lebenserwartung und dauerhafte Beziehungen. Man kann getrost annehmen, daß die Hexen Lasher zu ihrer vollständigen Zufriedenheit beherrschten. Aber wir müssen ehrlich sagen, daß wir nicht wissen, ob es so war oder nicht. Wir haben einfach keinen Hinweis auf das Gegenteil. Es gibt keine spezifischen Sichtungen Lashers. Es gibt keinen Hinweis auf Tragödien in der Familie.
DIE FAMILIE MAYFAIR IN LOUISIANA
IM NEUNZEHNTEN JAHRHUNDERT
Ein paar Tage vor der haitianischen Revolution (dem einzigen erfolgreichen Sklavenaufstand in der Geschichte) wurde Marie Claudette von eigenen Sklaven gewarnt, daß sie und ihre Familie vielleicht massakriert werden würden. Sie und ihre Kinder, ihr Bruder Lestan mit Frau und Kindern und ihr Onkel Maurice sowie dessen zwei Söhne mit ihren Frauen und Kindern entkamen offenbar mühelos und mit erstaunlichen Mengen ihres persönlichen Besitzes – es war eine ganze Wagenkarawane, die Maye Faire in Richtung Hafen verließ. Rund fünfzig der persönlichen Sklaven Marie Claudettes, die Hälfte davon Halbblüter, einige darunter zweifellos Nachkommen der Mayfair-Männer, begleiteten die Familie nach Louisiana. Beinahe vom ersten Augenblick ihrer Ankunft in Louisiana an konnte die Talamasca mehr Informationen über die Mayfair-Hexen in ihren Besitz bringen. Ein Grund dafür war, daß die Familie anscheinend für ihre Umgebung »sichtbarer« geworden war. Aus einer Position von nahezu feudaler Macht und Isolation auf Saint Domingue gerissen, geriet sie unversehens in Kontakt zu zahllosen neuen Personen: Kaufleuten, Geistlichen, Sklavenhändlern, Maklern, Kolonialbeamten und dergleichen mehr. Und der Reichtum der Mayfairs ebenso wie ihr jähes Auftauchen auf der Bühne der städtischen Öffentlichkeit erweckte immense Neugier.
Auch kam es im neunzehnten Jahrhundert zu einer Flut von Informationen durch das wachsende Pressewesen, das Umsichgreifen detaillierter Privataufzeichnungen und die Erfindung der Photographie. In der Tat schuf die Entwicklung der Stadt New Orleans zu einer brodelnden, gedeihenden Hafenstadt eine Umgebung, in der man Dutzende von Leuten über die Mayfairs befragen konnte, ohne daß man uns oder unsere Ermittler je bemerkt hätte.
Daher müssen wir, während wir die Geschichte der Mayfairs studieren, eines berücksichtigen: Es scheint zwar, daß die Familie sich im neunzehnten Jahrhundert in dramatischer Weise verändert hat, aber es könnte auch sein, daß sie sich in Wirklichkeit überhaupt nicht veränderte. Es kann sein, daß die einzige Veränderung in unseren Ermittlungsmethoden liegt: Wir erfuhren mehr über das, was hinter geschlossenen Türen vor sich ging.
Wie auch immer: Die Hexen des neunzehnten Jahrhunderts – mit Ausnahme von Mary Beth Mayfair, die aber erst 1872 zur Welt kam – erscheinen sehr viel schwächer als die, welche in den Jahren auf Saint Domingue die Familie regierten. Und der Abstieg der Mayfair-Hexen, der sich im zwanzigsten Jahrhundert so ausgeprägt darstellte, kann – betrachtet auf der Grundlage unseres fragmentarischen Materials – schon vor dem Bürgerkrieg begonnen haben. Aber das Bild ist noch komplizierter, wie wir gleich sehen werden.
Die Änderung der Einstellungen und der Zeiten hat vielleicht eine signifikante Rolle beim Abstieg der Hexen gespielt. Das heißt, als die Familie sich immer weniger aristokratisch und feudal gebärdete und immer »zivilisierter« oder »bürgerlicher« wurde, machte sich vielleicht auch bei ihren Mitgliedern eine zunehmende Unkenntnis hinsichtlich ihres Erbes und ihrer Kräfte bemerkbar, eine allgemeine Befangenheit
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