Hexenstunde
Aufmerksamkeit auf sich, wohin sie auch ging, vor allem angesichts der Tatsache, daß ihr Bruder Pierre ein ziemlich achtbares Leben führte und hinsichtlich seiner Mischlingsgeliebten sehr diskret war, und daß auch die Kinder ihres Onkels Lestan durchaus respektabel und beliebt waren.
Schon vor ihrem dreißigsten Lebensjahr war Marguerite zu einer hageren und irgend wie furchterregenden Gestalt geworden, mit oft zerzaustem Haar und glühenden schwarzen Augen. Sie beunruhigte die Leute mit ihrer Art und ihrem unvermittelten Lachen. Und immer trug sie den Mayfair-Smaragd.
Kaufleute und Makler und Gäste empfing sie in einem riesigen, mit Büchern vollgestopften Arbeitszimmer in Riverbend, das überladen war mit »schrecklichen und abscheulichen Dingen«: mit Menschenschädeln, ausgestopften Sumpftieren, Trophäenköpfen von Afrikasafaris und Tierhäuten. Sie hatte zahllose Flaschen und Gläser dort, und manche Leute behaupteten, sie hätten in diesen Gläsern menschliche Körperteile gesehen. Sie galt als begeisterte Sammlerin von Perlenschmuck und Amuletten der Sklaven – vor allem solcher, die erst kürzlich aus Afrika importiert worden waren.
Es gab zu jener Zeit mehrere Fälle von »Besessenheit« unter ihren Sklaven; im Zusammenhang damit ist es wohl zu sehen, daß verängstigte Sklaven wegliefen und Priester auf die Pflanzung kamen. In allen Fällen wurde das Opfer angekettet, und man versuchte erfolglos, einen Exorzismus durchzuführen.
Man munkelte, ein solcher besessener Sklave sei auf dem Speicher angekettet, aber die örtlichen Behörden wurden in diesem Fall nicht tätig.
Mindestens vier verschiedene Zeugen erwähnen Marguerites »mysteriösen dunkelhaarigen Liebhaber«, einen Mann, den ihre Sklaven in ihren Privaträumen gesehen haben wollen, aber auch in ihrer Suite im St. Louis Hotel in New Orleans und in ihrer Loge in der French Opera. Mancherlei Klatsch umrankte diesen Geliebten oder Begleiter. Die geheimnisvolle Art und Weise seines Kommens und Gehens erfüllte jedermann mit Ratlosigkeit.
»Bald ist er da, bald unsichtbar«, pflegte man zu sagen.
Dies sind die ersten Erwähnungen Lashers nach mehr als einhundert Jahren.
Marguerite heiratete beinahe sofort nach Tyrone Clifford McNamaras Tod einen kleinen, bargeldlosen Riverboat-Spieler namens Arlington Kerr, der sechs Monate nach der Hochzeit spurlos verschwand. Über ihn ist nichts bekannt; man weiß nur, daß er »schön wie eine Frau« und ein Trinker war und daß er mit diversen betrunkenen Gästen und mit dem Mulattenkutscher die ganze Nacht Karten spielte. Bemerkenswert ist, daß man von dem Mann mehr gehört als gesehen hat, und es ist eine interessante Spekulation, daß er vielleicht nie existiert hat.
Rechtlich gesehen war er indessen der Vater Katherine Mayfairs, geboren 1830, die nächste Empfängerin des Vermächtnisses und die erste Mayfair-Hexe seit Generationen, die ihre Großmutter nicht mehr bewußt kannte, denn Marie Claudette starb im Jahr darauf.
Flußauf, flußab verbreitete sich unter den Sklaven die Geschichte, Marguerite habe Arlington Kerr ermordet und seine Leiche stückweise in verschiedene Gläser gesteckt; aber niemand stellte auf diese Geschichte hin irgendwelche Ermittlungen an, und die Erklärung, die schließlich von der Familie verbreitet wurde, besagte, Arlington Kerr habe sich an das Pflanzerleben nicht gewöhnen können und deshalb – so pleite, wie er gekommen war – Louisiana wieder verlassen: »Weg mit Schaden!« sagte Marguerite.
Als Zwanzigjährige war Marguerite berühmt dafür, daß sie bei den Tänzen der Sklaven zuschaute und sogar mittanzte. Ohne Zweifel besaß sie die Mayfairsche Gabe der Heilung, und bei Geburten war sie stets zugegen. Aber im Laufe der Zeit beschuldigte man sie auch, die Babys ihrer Sklaven zu stehlen, und so ist sie die erste Mayfair-Hexe, die von den Sklaven nicht nur gefürchtet, sondern persönlich verabscheut wurde.
Mit fünfunddreißig führte sie die Pflanzung selbst nicht mehr aktiv, sondern legte alles in die Hände ihres Cousins Augustin, eines Sohns ihres Onkels Lestan, der sich als ein mehr als fähiger Verwalter erwies.
Mit vierzig war Marguerite nach Auskunft von Beobachtern eine »Vettel«, obgleich sie eine hübsche Frau hätte sein können, hätte sie sich nur die Mühe gemacht, ihr Haar hochzustecken, und hätte sie ihrer Kleidung nur die mindeste Aufmerksamkeit gewidmet.
Als ihr ältester Sohn Julien fünfzehn war, begann er, mit seinem Cousin
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