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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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und daß Katherine nach Darcys Tod keinen anderen Liebhaber gehabt haben konnte, da sie das Haus nur verließ, um zurück auf die Pflanzung zu fahren.
    Aber so verbreitet diese Geschichte in der Bedienstetenklasse sein mag, unter den Standesgenossen der Mayfairs scheint man sie nie akzeptiert oder auch nur zur Kenntnis genommen zu haben. Katherine war ja nicht nur in jeder anderen Hinsicht hochgeachtet, sondern sie war auch enorm reich und großzügig und deswegen sehr beliebt, und oft spendete sie freigiebig Geld für Familien und Freunde, die der Krieg ruiniert hatte. Ihre Selbstmordversuche hatten nur Mitleid hervorgerufen, und die alten Geschichten von den Mischlingsbällen, die sie besucht hatte, waren aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit restlos getilgt. Auch reichte der finanzielle Einfluß der Familie zu jener Zeit beinahe unübersehbar weit. Julien war in der Gesellschaft von New Orleans sehr populär. Das Gerede verstummte bald überhaupt, und es ist zu bezweifeln, daß es je die geringste Auswirkung auf das private oder öffentliche Leben der Mayfairs gehabt hatte.
    Katherine wird 1872 als immer noch hübsch beschrieben, obgleich sie vor der Zeit ergraut war, und es heißt, sie habe ein frisches, verbindliches Auftreten gehabt, mit dem sie die Menschen mühelos für sich eingenommen habe. Eine hübsche, guterhaltene Daguerreotypie aus jener Zeit zeigt sie auf einem Stuhl mit dem schlafenden Baby auf dem Schoß, die beiden Jungen an ihrer Seite. Sie sieht gesund und heiter aus, eine attraktive Frau mit einem Hauch von Trauer im Blick. Den Mayfair-Smaragd trägt sie nicht.
    Während Mary Beth und ihre großen Brüder Clay und Vincent auf dem Lande aufwuchsen, ergriff Juliens Bruder Rémy Mayfair mit seiner Frau – einer Mayfair-Cousine, Enkelin von Lestan Mayfair – vom Hause Mayfair Besitz; sie wohnten viele Jahre dort und bekamen drei Kinder, die alle den Namen Mayfair führten. Zwei von ihnen haben Nachkommen in Louisiana.
    In dieser Zeit begann Julien, öfters im Haus Besuche zu machen und dort in der Bibliothek sein Büro einzurichten. Er ließ in zwei Wände des Raumes Bücherschränke einbauen und füllte sie mit einem großen Teil der Mayfairschen Familiendokumente, die immer auf der Plantage aufbewahrt worden waren. Julien liebte Bücher, und er vervollständigte die Bibliothek mit Klassikern wie auch mit populären Romanen. Er verehrte Nathaniel Hawthorne und Edgar Allan Poe, aber auch Charles Dickens.
    Es gibt Hinweise darauf, daß Streitereien mit Katherine ihn in die Stadt trieben, weg von Riverbend, wenngleich er seine Pflichten dort niemals vernachlässigte. Aber wenn Katherine ihn vertrieb, so zog ihn seine kleine Nichte (oder Tochter) Mary Beth wieder zurück: Immer wieder überschüttete er sie mit Wagenladungen von Geschenken, oder er entführte sie für ein Wochenende nach New Orleans. Diese Hingabe hinderte ihn indes nicht daran, sich 1875 mit einer Mayfair-Cousine zu verheiraten, einer Nachfahrin Maurices und einer berühmten Schönheit.
    Ihr Name war Suzette Mayfair, und Julien liebte sie so sehr, daß er in den ersten Ehejahren nicht weniger als zehn Porträts von ihr in Auftrag gab. Sie wohnten zusammen mit Rémy und seiner Familie im Haus in der First Street, anscheinend in vollständiger Harmonie – vielleicht weil Rémy sich Julien in jeder Hinsicht unterordnete.
    Suzette scheint die kleine Mary Beth geliebt zu haben, obwohl sie in den nächsten fünf Jahren vier eigene Kinder bekam: drei Jungen und ein Mädchen namens Jeannette.
    Katherine kam nie freiwillig in das Haus in der First Street zurück. Es erinnerte sie zu sehr an Darcy. Als sie im Alter gezwungenermaßen zurück kehrte, verstörte es ihren Geist, und um die Jahrhundertwende war sie eine tragische Gestalt, die, ewig in Schwarz gekleidet, im Garten umherstreifte und nach Darcy suchte.
    Von allen Mayfair-Hexen, die bis heute studiert wurden, war Katherine wohl die schwächste und unbedeutendste. Ihre Kinder, Clay und Vincent, waren beide ganz und gar respektabel und wenig bemerkenswert; die beiden heirateten früh und hatten große Familien, und ihre Nachkommen leben heute in New Orleans.
    Katherine verbrachte mehr und mehr Zeit bei ihrer Mutter Marguerite, die mit jedem Jahrzehnt wunderlicher geworden war. Jemand, der sie in den achtziger Jahren des Jahrhunderts besuchte, beschrieb sie als »ganz unmöglich« – ein altes Weib, das Tag und Nacht in bekleckerter weißer Spitze umherging und in ihrer Bibliothek

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