Hexenstunde
mich und fürchtete, ich hätte ihn gekränkt. Aber er saß da und lächelte mich nur an. Ich werde es nie vergessen. Er saß am anderen Ende seiner Ledercouch, die Beine übereinandergeschlagen, und sah mich durch den Rauch seiner Pfeife an, und dann sagte er: ›Nun, Richard, wenn du wissen willst, wie ich damals war, dann werde ich’s dir vielleicht zeigen. Ich werde dich überraschen.‹
An diesem Abend war ich in der Stadt. Ich weiß nicht mehr, weshalb ich unterwegs war. Vielleicht wollte ich nur mal etwas rauskommen. Wissen Sie, dieses Haus konnte manchmal so bedrückend sein! Es war voller Kinder und alter Leute, und Mary Beth Mayfair war auch immer da, und sie war eine solche Heimsuchung – um es höflich zu formulieren. Wohlgemerkt, ich mochte Mary Beth. Jeder mochte Mary Beth. Und ich mochte sie sehr, zumindest bis Julien starb. Aber sie hatte eine Art, das Zimmer auszufüllen, wenn sie hereinkam. Sie überstrahlte alle anderen, könnte man sagen. Und dann war da ihr Mann, Richter McIntyre.
Richter McIntyre war ein schrecklicher Säufer. Er war immer betrunken. Und dabei so streitsüchtig. Ich sage Ihnen, mehr als einmal mußte ich ihn suchen gehen und ihn aus den irischen Bars in der Magazine Street nach Hause schleppen. Wissen Sie, die Mayfairs waren eigentlich nicht seine Sorte Leute. Dabei war er ein gebildeter Mann, von feinstem irischem Blut, um genau zu sein. Aber ich glaube, bei Mary Beth fühlte er sich irgend wie minderwertig. Sie hatte dauernd irgendwelche Kleinigkeiten an ihm auszusetzen: Er sollte sich seine Serviette auf den Schoß legen, oder er sollte im Eßzimmer keine Zigarren rauchen, oder er sollte beim Essen nicht auf sein Silber beißen, weil das Geräusch sie störte. Er war ewig beleidigt. Aber ich glaube, eigentlich hat er sie geliebt. Sie müßten sie schon gekannt haben, um das zu verstehen. Sie war nicht schön. Das war es nicht. Aber sie war… sie war absolut fesselnd!
Bloß war Richter McIntyre ein Ire von der Sorte, die es nicht erträgt, mit ihrer Ehefrau zusammen zu sein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er mußte mit Männern herumsitzen und dauernd trinken und streiten, und zwar nicht mit Männern wie Julien, sondern mit seinesgleichen: mit mächtig trinkenden, mächtig redenden Iren. Er verbrachte viel Zeit in der Stadt in seinem Club, aber oft ging er abends eben auch in die rauheren Sauflokale in der Magazine Street.
Zu Hause hat er immer viel Lärm gemacht. Aber er war ein guter Richter. Er trank erst, wenn er vom Gericht nach Hause kam, und weil er immer früh nach Hause kam, hatte er reichlich Zeit, sich bis zehn Uhr richtig vollaufen zu lassen. Dann zog er los, und gegen Mitternacht sagte Julien meistens: ›Richard, ich denke, du solltest ihn suchen gehen.‹
Julien nahm das alles leicht. Er fand Richter McIntyre komisch, und er lachte über alles, was der Richter sagte. Richter McIntyre redete und redete über Irland und über die politische Lage dort, und Julien wartete, bis er fertig war, und dann sagte er fröhlich und mit einem Zwinkern in den Augen: ›Von mir aus können die sich alle gegenseitig umbringen.‹ Dann geriet Richter McIntyre in Raserei. Mary Beth lachte und schüttelte den Kopf und trat dem Richter unter dem Tisch ans Schienbein. Aber in den letzten Jahren war es doch ziemlich schlimm mit ihm. Wie er es geschafft hat, überhaupt so alt zu werden, begreife ich nicht. Starb erst 1925, drei Monate nach Mary Beth. Lungenentzündung, hieß es. Aber Pustekuchen – Lungenentzündung: In der Gosse haben sie ihn gefunden. Am Weihnachtsabend, und so kalt war es, daß die Wasserleitungen einfroren. Lungenentzündung!
Ich habe gehört, Mary Beth hatte solche Schmerzen, als sie starb, daß sie ihr genug Morphium gaben, um sie fast umzubringen. Dann lag sie besinnungslos da, und er kam betrunken herein, weckte sie und sagte: ›Mary Beth, ich brauche dich. ‹ Was für ein armer, betrunkener Trottel. Und sie sagte: ›Komm, Daniel, leg dich zu mir, Daniel.‹ Wenn man sich vorstellt, daß sie solche Schmerzen hatte… Stella hat es mir erzählt. Beim letztenmal, als ich sie sah – lebend, meine ich. Danach bin ich noch einmal dagewesen – zu Stellas Beerdigung. Da lag sie im Sarg, und es war ein Wunder, wie Lonigan diese Wunde verschlossen hatte. Sie war einfach schön, wie sie so dalag, und alle Mayfairs waren im Zimmer. Aber wie gesagt, da habe ich sie zum letzten Mal lebendig gesehen… Und was sie über Carlotta sagte, und wie Carlotta in
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