Hexenstunde
Donner gerührt, als ich sah, wie diese Kinder solche intimen Tätigkeiten verrichteten. Und was glauben Sie – als Julien mit der Mutter zur Sache kam, waren die beiden Mädchen mit im Bett. Sie waren beide sehr hübsch, die eine dunkelhaarig, die andere blondgelockt. Sie trugen kleine Chemises und dunkle Strümpfe, wenn Sie sich das vorstellen können, und sie waren bezaubernd – ich glaube, sogar für mich. Ja, man sah ihre kleinen Brustwarzen durch die Hemdchen. Dabei hatten sie kaum Brüste. Ich weiß nicht, warum das so bezaubernd war. Sie lehnten am hohen, geschnitzten Kopfende des Bettes – Sie wissen schon, es war eine von diesen maschinell gefertigten Scheußlichkeiten, die bis an die Decke reichen mit ihrem Halbbaldachin und der Krone oben drauf -, und sie küßten ihn wie dienende Englein, als er… als er… die Mutter bestieg, sozusagen.
Natürlich benahm er sich die ganze Zeit so anmutig, wie ein Mensch sich in einer solchen Situation nur benehmen kann. Man hätte meinen mögen, er sei Darius, der König von Persien, und diese Damen seien sein Harem; es war nicht die Spur von Befangenheit oder Roheit in ihm. Nachher trank er noch Champagner mit ihnen, und auch die kleinen Mädchen tranken welchen. Die Mutter versuchte ihren Zauber an mir, aber ich wollte nichts davon wissen. Julien wäre die ganze Nacht dageblieben, wenn ich ihn nicht gebeten hätte, zu gehen. Er brachte den beiden Mädchen ›ein neues Gedicht‹ bei. Anscheinend lehrte er sie jedesmal, wenn er kam, ein Gedicht, und sie sagten aus vergangenen Lektionen drei oder vier für ihn auf, darunter ein Sonett von Shakespeare. Das neue war von Elizabeth Barrett Browning.
Ich konnte es nicht erwarten, dieses Haus zu verlassen. Und auf dem Heimweg fiel ich wirklich über ihn her. ›Julien‹, sagte ich, ›was immer wir sein mögen, wir sind erwachsen, und das waren Kinder. ‹ Er blieb freundlich wie immer. ›Jetzt komm, Richard‹, sagte er, ›sei kein Dummkopf. Solche Kinder nennen sie ›Trickbabys‹. Sie sind in einem Haus der Prostitution geboren, und sie werden so weiterleben bis ans Ende ihrer Tage. Ich habe ihnen nichts getan, was sie verletzen könnte. Und wäre ich nicht heute abend mit ihrer Mutter zusammengewesen, dann hätte es jemand anders getan, mit ihr und mit ihnen. Aber ich will dir sagen, was mich an dieser ganzen Sache so fasziniert, Richard. Es ist die Art, wie das Leben sich Geltung verschafft, ganz gleich, wie die Umstände sind. Natürlich muß es eine jämmerliche Existenz sein – was denn sonst? Aber diesen kleinen Mädchen gelingt es, zu leben, zu atmen, sich zu freuen. Sie lachen, und sie sind voller Neugier und Zärtlichkeit. Sie haben sich angepaßt – so kann man es sagen, glaube ich. Sie haben sich angepaßt, und sie greifen auf ihre eigene Art nach den Sternen.‹
Ich weiß, daß er oft nach Storyville fuhr und mich nicht mitnahm. Aber ich will Ihnen noch etwas ziemlich Merkwürdiges erzählen…« (Hier zögerte er, und es bedurfte einigen Drängens.) »Er nahm Mary Beth mit. Er nahm sie mit zu Lulu White und ins Arlington, und das brachten sie nur zuwege, weil Mary Beth sich als Mann verkleidete.
Ich habe sie mehr als einmal zusammen ausgehen sehen, und wenn Sie Mary Beth je gesehen hätten, würden Sie es verstehen. Sie war keine häßliche Frau, in keiner Weise, aber sie war nicht zierlich. Sie war hochgewachsen und kräftig gebaut und wirkte ziemlich groß. In einem der Westenanzüge ihres Gatten gab sie einen verdammt gutaussehenden Mann ab. Sie stopfte sich das lange Haar unter einen Hut und schlang sich einen Schal um den Hals, und manchmal trug sie eine Brille – obwohl ich nicht recht weiß, warum – und dann zog sie mit Julien los.
Ich erinnere mich, daß es mindestens fünfmal vorgekommen ist. Und ich habe gehört, wie sie nachher darüber redeten, daß sie alle Welt zum Narren gehalten hätten. Richter McIntyre ging manchmal auch mit, aber in Wirklichkeit wollten sie ihn, glaube ich, nicht dabei haben.
Und dann erzählte Julien mir einmal, wie Richter McIntyre Mary Beth Mayfair kennen gelernt hatte – in Storyville, etwa zwei Jahre vor meiner Ankunft. Damals war er noch nicht Richter McIntyre gewesen, sondern bloß Daniel McIntyre. Er war Mary Beth da unten begegnet und hatte die ganze Nacht mit ihr und Julien Billard gespielt, und erst am nächsten Morgen hatte er gemerkt, daß Mary Beth eine Frau war, und als er das heraus gefunden hatte, ließ er nicht mehr ab von ihr.
Julien
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