Hexenstunde
Resignation ein.‹
Natürlich war ich immer noch aufgeregt. ›Julien‹, sagte ich, ›ich verlange zu wissen, wie du das gemacht hast.‹ Aber er antwortete nicht. Es war, als wäre ich nicht da. Er starrte ins Feuer. Er hatte dort im Winter immer ein Feuer in beiden Kaminen brennen. Da sind zwei Kamine in dem Salon, wissen Sie; der eine ist ein bißchen kleiner als der andere.
Ein bißchen später erwachte er aus seiner Träumerei und erinnerte mich daran, daß er an seiner Lebensgeschichte schreibe. Nach seinem Tod könne ich sie möglicherweise lesen – vielleicht. Er sei nicht sicher.
Er hatte wirklich ein interessantes Leben geführt, wissen Sie; er war ja lange vor dem Bürgerkrieg geboren und hatte viel gesehen. Ich ritt immer mit ihm zur Stadt hinaus und durch den Audubon Park und er erzählte von den alten Zeiten, als all das Land eine Plantage gewesen war. Er erzählte, wie er mit dem Dampfer von Riverbend heraufgekommen war. Er erzählte vom alten Opernhaus und von den Mischlingsbällen. Er erzählte und erzählte. Ich hätte das alles aufschreiben sollen. Dem kleinen Lionel und Stella hat er die Geschichten auch erzählt – und wie haben die beiden ihm gelauscht! Er nahm sie in der Kutsche mit in die Stadt, und dann zeigte er ihnen Häuser im French Quarter und erzählte dazu wundervolle Geschichten.
Ich sage Ihnen, ich wollte seine Lebensgeschichte nur zu gern lesen. Ich erinnere mich, daß ich mehrmals in die Bibliothek kam, und da saß er und schrieb und bemerkte, er arbeite an seiner Autobiographie. Er schrieb mit der Hand, obwohl er ja eine Schreibmaschine hatte, und es störte ihn überhaupt nicht, daß all die Kinder um ihn herum waren. Lionel saß am Kamin und las, oder Stella spielte auf der Couch mit ihrer Puppe, aber das störte ihn nicht: Er schrieb an seiner Autobiographie.
Und was glauben Sie? Als er starb, war keine Autobiographie da. Das hat Mary Beth mir gesagt. Ich flehte sie an, mich sehen zu lassen, was er geschrieben hatte, aber sie sagte nur so obenhin, da sei nichts. Ich durfte nichts auf seinem Schreibtisch anfassen. Sie schloß die Bibliothek ab. Oh, ich haßte sie dafür, ich haßte sie wirklich. Und sie tat es auf eine so beiläufige Art. Sie hätte jedermann überzeugt, daß sie die Wahrheit sagte, so sicher gab sie sich. Aber ich hatte doch das Manuskript gesehen!«
Ich war neugierig und wollte mehr über die Tage von Storyville wissen. Wie war es dort mit Julien gewesen?
»Oh«, sagte Llewellyn, »Julien hat Storyville geliebt, wirklich. Und die Frauen bei Lulu White im Spiegelsaal, die haben ihn angebetet, das kann ich Ihnen sagen. Sie haben ihm aufgewartet wie einem König. Und so war es überall, wo er hinkam. Aber es ist ‘ne Menge dort unten passiert, worüber ich nicht so gern rede. Nicht, daß ich eifersüchtig auf Julien gewesen wäre. Es war schlicht und einfach schockierend für einen Yankee-Boy wie mich, der bis dahin ein sauberes Leben geführt hatte. Aber Sie werden besser verstehen, was ich meine, wenn ich es Ihnen erzähle.
Das erstemal, daß Julien mich mitnahm, war im Winter, und er ließ uns von seinem Kutscher geradewegs vor eines der besten Häuser fahren. Da spielte ein Pianist- ich weiß nicht mehr genau, wer es war: vielleicht Manuel Perez oder Jelly Roll Morton -, und wir saßen im Salon und hörten zu und tranken Champagner, und es war sehr guter Champagner, und natürlich kamen die Mädchen mit all ihrem liederlichen Putz und ihrem albernen Gehabe – da war die Herzogin So-und-so und die Gräfin So-und-so, und sie versuchten Julien zu verführen, und er war einfach charmant zu allen. Schließlich traf er seine Wahl. Es war eine ältere Frau, ziemlich unauffällig, und das wunderte mich, und er sagte, wir würden beide mit ihr hinaufgehen. Natürlich wollte ich nicht mit ihr Zusammensein; nichts in der Welt hätte mich dazu bringen können, mit ihr zusammenzusein. Aber darüber lächelte Julien nur, und er sagte, ich sollte zusehen, und so würde ich noch etwas über die Welt lernen. Das war typisch Julien.
Und was glauben Sie, was passierte, als wir ins Schlafzimmer kamen? Na, nicht für die Frau interessierte Julien sich, sondern für ihre beiden Töchter, die gerade neun und elf Jahre alt waren. Sie halfen gewissermaßen bei den Vorbereitungen – Julien wurde, um es behutsam auszudrücken, untersucht, damit sichergestellt war, daß er nicht an Sie-wissen-schon-was litt… und dann wurde er gewaschen. Ich sage Ihnen, ich war wie vom
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