Hexenstunde
Gouvernanten nach Europa, wenn sie selbst zu beschäftigt war, und sie veranstaltete für sie Geburtstagspartys von legendärer Größe und Extravaganz, zu denen unzählige Mayfair-Verwandte eingeladen wurden. Gleichermaßen großzügig verfuhr sie mit ihrer Tochter Belle, mit ihrer Adoptivtochter Nancy und mit Millie Dear, ihrer Nichte, die allesamt nach ihrem Tod weiter in der First Street wohnten, obgleich sie umfangreiche Treuhandfonds erbten, die ihnen eine unangreifbare finanzielle Unabhängigkeit verschafften.
Mary Beth stand mit Mayfairs überall im Land in Verbindung, und sie war die Schirmherrin zahlreicher Familienzusammenkünfte der Mayfairs in Louisiana. Auch nach Juliens Tod und noch bis kurz vor ihrem Ableben wurden bei solchen Anlässen köstliche Speisen und Getränke gereicht, und Mary Beth selbst beaufsichtigte die Zusammenstellung des Menüs und kostete auch den Wein.
Gewaltige Familiendinners gab es in der First Street häufig, und Mary Beth zahlte fabelhafte Gehälter, um die besten Köche für ihre Küche zu gewinnen. Viele Berichte deuten an, daß die Mayfairschen Verwandten gern in die First Street kamen, daß sie die langen Gespräche nach dem Dinner liebten und daß sie Mary Beth persönlich treu ergeben waren, die ihrerseits ein gespenstisches Talent besaß, Geburtstage, Hochzeitstage und Examensdaten im Gedächtnis zu behalten und zu diesen Anlässen entsprechende und sehr willkommene Bargeldgeschenke zu verschicken.
Wie schon erwähnt, liebte Mary Beth es in ihrer Jugend, auf diesen Festen mit Julien zu tanzen; sie ermunterte jung und alt, ebenfalls zu tanzen, und engagierte auch manchmal Tanzlehrer, die den Verwandten die neuesten Tänze beizubringen hatten. Sie und Julien erheiterten die Kinder mit ihren munteren Possen. Und manchmal schockierten die Tanzkapellen, die sie sich aus dem Quarter holten, die gesetzteren Mayfairs. Nach Juliens Tod tanzte Mary Beth nicht mehr so viel, aber sie liebte es immer noch, anderen beim Tanzen zuzuschauen, und fast immer sorgte sie für Musik.
Mayfairs waren zu diesen Treffen nicht einfach eingeladen – es wurde von ihnen erwartet, daß sie kamen, und Mary Beth zeigte sich mitunter recht unangenehm gegen diejenigen, die ihre Einladungen nicht annehmen wollten. Und es gibt zwei Geschichten darüber, wie extrem zornig sie auf Mitglieder der Familie reagierte, die den Namen Mayfair zugunsten ihres väterlichen Namens ablegten.
Es gibt mehrere Hinweise darauf, daß Mary Beth in die Zukunft sehen konnte, dieses Talent aber nicht gern benutzte. Wenn man sie um eine Vorhersage oder um Hilfe bei einer Entscheidung bat, warnte sie die beteiligten Familienmitglieder oft: Das »zweite Gesicht« sei keine so simple Angelegenheit. Und das Vorhersagen der Zukunft könne eine »vertrackte« Sache sein. Aber hin und wieder machte sie doch handfeste Weissagungen. So sagte sie Maitland Mayfair – Clays Sohn -, daß er sterben werde, wenn er mit der Fliegerei anfange, und so geschah es auch. Maitlands Frau Therese gab ihr die Schuld an seinem Tod; Mary Beth wischte das mit einfachen Worten beiseite: »Ich habe ihn gewarnt, oder? Wenn er nicht mit dem verdammten Flugzeug aufgestiegen wäre, hätte er auch nicht damit abstürzen können.«
Maitlands Brüder waren betrübt über seinen Tod, und sie flehten Mary Beth an, solche Ereignisse nach Möglichkeit zu verhindern, worauf sie antwortete, sie könne es ja versuchen und wolle es auch tun, wenn sie das nächstemal auf so etwas aufmerksam würde. Wieder aber warnte sie, daß solche Dinge »vertrackt« seien. 1921 wollte Maitlands Sohn, Maitland junior, auf eine Expedition in den afrikanischen Dschungel gehen; seine Mutter Therese hatte entschiedene Einwände, und sie appellierte an Mary Beth, sie möge den Jungen entweder aufhalten oder eine Weissagung abgeben.
Mary Beth überdachte die Angelegenheit lange und erklärte dann auf ihre schlichte, unverblümte Art, die Zukunft sei nicht vorher bestimmt, sie sei nur vorhersehbar. Und ihre Vorhersage sei, daß dieser Junge sterben werde, wenn er nach Afrika ginge. Wenn er aber hier bliebe, könnten ebenfalls schlimmere Dinge geschehen. Maitland Junior sagte die Expedition ab, blieb zu Hause und starb sechs Monate später bei einem Brandunglück. (Der junge Mann war betrunken gewesen und hatte im Bett geraucht.) Bei der Beerdigung wurde Mary Beth von Therese attackiert und gefragt, weshalb sie dieses Unglück nicht verhindert habe. Mary Beth antwortete beinahe
Weitere Kostenlose Bücher