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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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oder beides für Mary Beth, war aber häufig und für lange Zeit in Europa. Er war um die zwanzig und sehr gutaussehend, und er sprach gut Französisch, allerdings nicht mit Mary Beth, die das Englische bevorzugte. 1914 kam es zu Mißhelligkeiten zwischen ihm und ihr, aber anscheinend weiß niemand, worum es dabei ging. Er begab sich dann nach England, kämpfte im Ersten Weltkrieg und fiel. Sein Leichnam wurde nie gefunden. Mary Beth ließ eine ungeheure Gedenkfeier für ihn in der First Street veranstalten.
    Kelly Mayfair, auch ein Cousin, arbeitete ebenfalls 1912 und 1913 für Mary Beth, und er blieb bis 1918 in ihren Diensten. Er war ein auffallend hübscher, rothaariger, grünäugiger junger Mann (seine Mutter stammte aus Irland); er sorgte für Mary Beths Pferde, und anders als die meisten Jungen, die Mary Beth sich hielt, kannte er sich damit aus. Daß er Mary Beths Liebhaber gewesen sein soll, gründet sich nur auf die Tatsache, daß sie bei vielen Familienfesten mit einander tanzten und später zahlreiche lautstarke Auseinandersetzungen hatten, die von Zimmermädchen, Wäscherinnen und sogar Schornsteinfegern mitangehört wurden.
    Auch wurde Kelly von Mary Beth mit einer immensen Summe Geldes ausgestattet, damit er sein Glück als Schriftsteller versuchen könnte. Er zog mit diesem Geld ins New Yorker Greenwich Village, wo er eine Zeitlang als Reporter bei der New York Times arbeitete und dann im betrunkenen Zustand in einer ungeheizten Wohnung erfror – anscheinend wirklich infolge eines Unfalls. Es war sein erster Winter in New York, und vielleicht ahnte er nichts von den Gefahren. Wie auch immer, Mary Beth war sehr betrübt über seinen Tod und ließ den Leichnam heimführen und geziemend bestatten; Kellys Eltern waren indessen so empört über das, was geschehen war, daß sie sich weigerten, an der Beerdigung teilzunehmen. Sie ließ drei Worte in seinen Grabstein meißeln: »Fürchte nicht mehr.« Vielleicht bezieht sich dies auf die berühmte Zeile aus Shakespeares Cymbeline: »Fürchte nicht mehr der Sonne Hitze, noch des wüsten Winters Toben.« Aber wir wissen es nicht. Selbst dem Bestatter und dem Steinmetz verweigerte sie jede Erklärung.
    Die übrigen »gutaussehenden Jungen«, die so viel Gerede hervorriefen, sind uns unbekannt. Wir haben nur tratschhafte Beschreibungen von ihnen, und die deuten darauf hin, daß sie allesamt sehr hübsch waren und das waren, was man heute vielleicht als »Strichjungen« bezeichnen würde. Die festangestellten Dienstmädchen und das Küchenpersonal betrachteten sie voller Argwohn und Abneigung. Und in den meisten Berichten über diese jungen Männer wird nicht ausdrücklich behauptet, daß sie Mary Beths Liebhaber gewesen seien.
    Wer weiß? Vielleicht hat Mary Beth sie nur gern angeschaut?
    Was wir sicher wissen, ist daß sie für Daniel McIntyre von der ersten Begegnung an Liebe und Fürsorge empfand, wenngleich er seine Rolle in der Geschichte der Mayfairs zweifellos als Juliens Geliebter begann.
    Ungeachtet dessen, was Richard Llewellyn uns berichtet hat, wissen wir, daß Julien Daniel McIntyre irgendwann um 1896 herum kennenlernte und gleich anfing, ihm eine Menge wichtiger Geschäfte zuzuschanzen; Daniel McIntyre war damals ein vielversprechender Anwalt und arbeitete in einer von seinem Onkel zehn Jahre zuvor begründeten Kanzlei in der Camp Street.
    Als Garland Mayfair sein Jurastudium in Harvard beendet hatte, trat er in dieselbe Kanzlei ein, und später kam Cortland dazu. Beide arbeiteten mit Daniel McIntyre zusammen, bis dieser 1905 zum Richter ernannt wurde.
    Photographien aus jener Zeit zeigen Daniel als schlanken, blassen Mann mit rötlichblondem Haar. Er war beinahe hübsch – dem späteren Geliebten Juliens Richard Llewellyn nicht unähnlich, und nicht unähnlich auch dem dunkleren Victor, der nach dem Sturz unter die Wagenräder verstarb. Die Gesichter aller drei Männer waren außergewöhnlich schön und dramatisch in ihrer Knochenstruktur, und Daniel verfügte über den zusätzlichen Vorteil bemerkenswert strahlender grüner Augen.
    Was wir über Daniel McIntyres frühe Jahre wissen, ist ziemlich gesichert. Der Abstammung nach war er »old Irish« – das heißt, seine Vorfahren waren lange vor den großen Hungersnöten der vierziger Jahre nach Amerika eingewandert, und es ist zu bezweifeln, daß irgend jemand unter ihnen arm war.
    Sein Großvater, ein Kommissionär und Selfmade-Millionär, baute in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts

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