Hexenstunde
Tatsache, daß Stella innerhalb eines Jahres nach Mary Beths Tod die großen Familientreffen überhaupt abschaffte.
So sehr er sich auch bemühte, Cortland konnte Stella nicht bewegen, nach 1926 noch irgendwelche Familienfeste zu veranstalten. Und obgleich er häufig an ihren Soirées oder Bällen, oder wie immer sie heißen mochten, teilnahm und sein Sohn Pierce nicht selten auch dabei war, lehnten andere Verwandte, die zu solchen Vergnügungen eingeladen waren, dankend ab.
Zur Mardi-Gras-Saison des Jahres 1927 gab Stella einen Maskenball, über den man in New Orleans noch sechs Monate später redete. Leute aus allen Schichten der Gesellschaft nahmen daran teil. Das Haus in der First Street war prachtvoll erleuchtet, und geschmuggelter Champagner wurde kistenweise serviert. Eine Jazzband spielte auf der Seitenveranda. Dutzende von Gästen schwammen nackt im Swimming-pool, und am Morgen war eine regelrechte Orgie im Gange – so jedenfalls hörte man es von den verstörten Nachbarn.
Die Dienerschaft berichtete, Carlotta sei empört über den Lärm und die Dauer dieser Party gewesen, von den Kosten ganz zu schweigen. Irgendwann vor Mitternacht verließ sie das Haus und nahm Antha und Nancy mit, und erst am Nachmittag des folgenden Tages kehrte sie zurück.
Dies war der allererste öffentliche Streit zwischen Stella und Carlotta, aber Verwandte und Freunde erfuhren bald, daß sie sich schon wieder vertragen hatten. Lionel hatte Frieden zwischen den Schwestern gestiftet, und Stella hatte versprochen, öfter bei Antha zu Hause zu bleiben und nicht mehr so viel Geld auszugeben und so viel Lärm zu machen. Das Geld scheint Carlotta besonders am Herzen gelegen zu haben; sie fand, einen Swimming-pool mit Champagner zu füllen, sei »eine Sünde«.
Im selben Jahr kam es zu dem ersten einer Serie von geheimnisvollen gesellschaftlichen Ereignissen. Die Familienlegenden überliefern uns, daß Stella bestimmte Mayfair-Verwandte ausgesucht und »zu einem interessanten Abend« eingeladen habe, bei dem sie über die Familiengeschichte plaudern und die einzigartigen »übersinnlichen Begabungen« der Familie erörtern wollten. Manche sagen, man habe in der First Street eine Séance abgehalten, andere behaupten, es sei Voodoo im Spiel gewesen.
Daß viele Verwandte den Grund für diese Zusammenkunft nicht verstanden, daß sie das Gerede über Voodoo nicht ernstnahmen oder sich darüber ärgerten, daß sie brüskiert und nicht eingeladen worden waren, ist ziemlich offensichtlich.
Tatsächlich verursachte dieses Treffen einigen Aufruhr in der Familie. Weshalb machte Stella sich die Mühe, in den Genealogien herumzuwühlen und diese oder jene Cousine anzurufen, die kein Mensch in letzter Zeit je gesehen hatte, wenn sie nicht einmal die Höflichkeit besaß, diejenigen anzurufen, die Mary Beth gekannt und geliebt hatten? Die Türen in der First Street hatten immer für alle offengestanden; aber jetzt zeigte Stella sich anspruchsvoll und wählerisch – Stella, die sich nicht die Mühe machte, an Examensfeiern teilzunehmen oder Geschenke zu Taufen oder Hochzeiten zu schicken, Stella, die sich benahm wie eine »perfekte Du-weißt-schon-was«.
Aber bei allem Tratsch war es uns doch unmöglich, heraus zu finden, wer an dieser seltsamen Abendveranstaltung eigentlich teilnahm; wir wissen nur, daß Lionel dabei war und daß Cortland und sein Sohn Pierce ebenfalls anwesend waren. (Pierce war zu jener Zeit gerade siebzehn und ging bei den Jesuiten zur Schule. Aber er hatte bereits seine Zulassung für Harvard.)
Aus den Familiengeschichten wissen wir auch, daß diese Zusammenkunft die ganze Nacht dauerte und daß Lionel irgendwann vor dem Ende »voller Abscheu« ging. Verwandte, die dabei gewesen waren und nicht berichten wollten, was sich zugetragen hatte, wurden von den anderen heftig kritisiert. In dem Gesellschaftstratsch, der durch Dandrich an uns weitergegeben wurde, wird die Ansicht vertreten, Stella habe mit der »Schwarzen Magie« ihrer Vergangenheit gespielt, und das Ganze sei ein großes Spiel gewesen.
Es folgten mehrere solche Versammlungen, die alle samt unter absoluter Geheimhaltung von statten gingen, und alle Beteiligten mußten schwören, nichts von dem, was passierte, nach außen dringen zu lassen.
Unter Anwälten erzählte man sich, daß Carlotta mit Cortland deswegen Auseinandersetzungen habe und daß sie die kleine Antha und Nancy aus dem Haus bringen wolle. Stella war aber nicht einverstanden, daß Antha auf ein
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