Hexenstunde
die Malerin von oben. »Acht Stunden lang hat sie an einem Stück geschrien. Schließlich haben wir das Bellevue angerufen. Ob das richtig war, werde ich wohl nie wissen.«
Aus den Unterlagen des Bellevue geht hervor, daß Antha aufhörte zu schreien oder überhaupt noch irgendeinen Laut von sich zu geben, als sie in die Klinik eingeliefert wurde. Über eine Woche lang verharrte sie in einem katatonischen Zustand. Dann schrieb sie den Namen »Cortland Mayfair« auf einen Zettel, dazu die Worte »Anwalt, New Orleans«. Um halb elf am nächsten Morgen wurde in Cortlands Kanzlei angerufen. Sofort rief Cortland seine Ex-Frau Amanda Grady Mayfair in New York an und bat sie, ins Bellevue zu fahren und sich um Antha zu kümmern, bis er selbst da sein könne.
Als nächstes kam es zu einer furchtbaren Schlacht zwischen Cortland und Carlotta: Cortland bestand darauf, daß er sich um Antha kümmern müsse, weil Antha nach ihm geschickt habe. Zeitgenössischen Berichten zufolge bestiegen Cortland und Carlotta ein und denselben Zug nach New York, um Antha abzuholen und nach Hause zu bringen.
Bei einem emotionsgeladenen Lunch mit reichlich Alkohol erzählte Amanda Grady Mayfair die ganze Geschichte ihrem Freund (und unserem Informanten) Allan Carver, der sich ausdrücklich nach ihrer alten Südstaatenfamilie und den unheimlichen Vorgängen dort erkundigte. Amanda berichtete ihm folgendes über ihre arme kleine Nichte im Bellevue:
»… es war einfach schrecklich. Antha konnte nicht sprechen. Sie konnte einfach nicht. Sie wollte etwas sagen, und dann stammelte sie nur. Sie war so zerbrechlich. Seans Tod hatte sie restlos vernichtet. Es dauerte vierundzwanzig Stunden, bis sie die Adresse ihres Apartments in Greenwich Village aufschrieb. Ich fuhr gleich mit Ollie Mayfair hin – Sie wissen schon, einer von Rémys Enkeln -, und wir holten Anthas Sachen. Ach, es war so traurig. Natürlich nahm ich an, daß Seans Bilder allesamt Antha gehörten, weil sie ja seine Frau war, aber dann kamen die Nachbarn und erzählten uns, sie hätte ihn nie geheiratet. Seans Mutter und sein Bruder waren schon dagewesen. Sie wollten mit einem Lastwagen zurück kommen, um alles abzuholen. Anscheinend verabscheute Seans Mutter Antha, weil sie glaubte, Antha hätte ihren Sohn zu diesem Künstlerleben in Greenwich Village verleitet.
Ich sagte zu Ollie, na, die können alles haben, aber Anthas Porträts kriegen sie nicht. Die nahm ich, und auch alle ihre Kleider und Sachen, und diese alte Samtbörse voller Goldmünzen. Von dieser Börse hatte ich ja schon gehört, und erzählen Sie mir nicht, Sie wüßten nichts davon, wenn Sie die Mayfairs kennen. Und das, was sie geschrieben hatte – o ja, auch das. Ich packte alles ein: ihre Geschichten, verschiedene Kapitel eines Romans und auch ein paar Gedichte.
Als ich zum Krankenhaus zurück kam, waren Carlotta und Cortland schon da. Sie stritten im Flur miteinander. Aber einen Streit zwischen Carl und Cort muß man gesehen und gehört haben, sonst glaubt man es nicht: nur Gezische und kleine Gesten und schmale Lippen. Das war wirklich was. Da standen sie und redeten so miteinander, und ich wußte, sie waren bereit, sich gegenseitig umzubringen.
›Das Kind ist schwanger«, sagte ich. ›Haben die Ärzte es euch erzählt?‹
›Sie sollte es wegmachen lassen«, erklärte Carl. Ich dachte, Cortland fällt tot um. Ich war selbst so schockiert, daß ich nicht wußte, was ich sagen sollte.
Ich hasse Carlotta zutiefst, und es ist mir egal, wer davon weiß. Ich hasse sie. Ich habe sie mein Leben lang gehaßt. Ich bekomme Alpträume bei dem Gedanken, daß sie mit Antha allein ist. Ich habe Cortland in ihrer Gegenwart gesagt: ›Antha braucht Fürsorge. Sie ist eine erwachsene Frau; fragt sie, wohin sie will. Wenn sie in New York bleiben will, kann sie bei mir wohnen. Oder bei Ollie.‹ Zwecklos! Carlotta ging hinein und redete mit den Ärzten. Sie gab ihre übliche Vorstellung, und es gelang ihr, Antha gewissermaßen offiziell in eine psychiatrische Klinik nach New Orleans verlegen zu lassen. Sie ignorierte Cortland einfach, tat so, als ob er gar nicht da wäre. Ich rief alle Verwandten in New Orleans an. Alle rief ich an. Sogar die junge Beatrice Mayfair in der Esplanade Avenue – Rémys Enkelin. Ich erzählte allen, das Kind sei krank und schwanger und brauche liebevolle Fürsorge.
Und dann passierte noch etwas ganz Trauriges. Sie brachten Antha zum Bahnhof, und da winkte sie mich zu sich und flüsterte mir ins
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