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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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schreiben wollte, was sie kennt«, meinte eine junge Frau in einer Bar, die behauptete, früher Seans Freundin gewesen zu sein. »Aber lieber schreibt sie morbide Phantasien über ein altes, violettes Haus in New Orleans und über einen Geist, der dort wohnt – alles sehr überspannt und kaum verkäuflich. Sie sollte eigentlich mal weg von all diesem Mist und statt dessen über ihre Erfahrungen hier in New York schreiben.«
    Im Winter 1940 schrieb Elaine Barrett schließlich aus London und forderte unseren leitenden Detektiv in New York dringlich auf, sich um ein Gespräch mit Antha zu bemühen. Zu gern wäre Elaine selbst nach New York gereist, aber das kam nicht in Frage. Also telefonierte sie mit Allan Carver, einem geschmeidigen, kultivierten Mann, der seit vielen Jahren für uns arbeitete. Carver war ein fünfzigjähriger Gentleman, gutgekleidet und mit guten Manieren. Für ihn war es ein Kinderspiel, den Kontakt aufzunehmen. Sogar ein Vergnügen.
    »Ich folgte ihr ins Museum of Modern Art und lief ihr zufällig über den Weg, als sie vor einem der Rembrandts saß und ihn gedankenverloren anstarrte. Sie ist hübsch, sehr hübsch, aber ziemlich bohémien. Sie war an diesem Tag ganz in Gestricktes gewickelt und trug das Haar offen. Ich setzte mich neben sie und verwickelte sie in ein Gespräch. Ob sie Rembrandt liebe? Ja. Und New York im allgemeinen? Oh, sie lebe zu gern hier. Sie wollte nirgendwo anders sein. Die Stadt New York war eine Person für sie. Noch nie war sie so glücklich gewesen wie hier.
    Ich brachte sie dazu, über sich selbst zu reden, über ihr Leben, ihren Mann, ihre Schriftstellerei. Ja, sie wollte Schriftstellerin werden. Sean wollte es auch. Sean wäre nur glücklich, wenn sie auch erfolgreich wäre. ›Wissen Sie, ich kann nichts anderes als Schriftstellerin werden‹, sagte sie. ›Ich bin zu etwas anderem nicht fähig. Wenn man gelebt hat wie ich, taugt man zu nichts. Nur das Schreiben kann einen da retten.‹ Es war wirklich sehr rührend, wie sie über all das sprach. Sie wirkte völlig offen und absolut aufrichtig. Ich glaube, wenn ich dreißig Jahre jünger gewesen wäre, hätte ich mich in sie verliebt.
    ›Wie haben Sie denn gelebt?‹ bedrängte ich sie. ›Ich kann Ihren Akzent gar nicht richtig einordnen. Aber ich höre, daß Sie nicht aus New York sind.‹
    ›Aus dem Süden komme ich‹, sagte sie. ›Das ist eine ganz andere Welt.‹ Und im nächsten Augenblick wurde sie traurig, ja, aufgeregt. ›Ich will das alles vergessen‹, sagte sie. ›Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich habe mir das zur Regel gemacht. Ich schreibe über meine Vergangenheit, aber ich spreche nicht darüber. Ich verwandle sie in Kunst, wenn ich kann, aber ich spreche nicht darüber. Ich werde ihr hier kein Leben geben – außerhalb der Kunst -, wenn Sie verstehen, was ich meine.‹
    ›Nun, dann erzählen Sie mir, was Sie schreiben‹, bat ich. Erzählen Sie mir zum Beispiel von einer Ihrer Geschichten – angenommen, Sie schreiben Geschichten -, oder erzählen Sie mir von Ihren Gedichten.‹
    ›Wenn sie etwas taugen, werden Sie sie eines Tages lesen können‹, sagte sie, und dann lächelte sie und ging. Ich glaube, sie war mißtrauisch geworden. Ich weiß es nicht. Sie schaute sich während unserer Unterhaltung die ganze Zeit wachsam um. Ich fragte sie einmal sogar, ob sie jemanden erwartete. Eigentlich nicht, sagte sie -›aber man weiß ja nie‹. Sie benahm sich, als ob sie glaubte, daß jemand sie beobachtete. Und natürlich beobachteten meine Leute sie ja auch die ganze Zeit. In diesem Augenblick war mir sehr unwohl zumute, das kann ich Ihnen sagen.«
    Monatelang wurden wir mit immer denselben Berichten überschüttet: Antha und Sean waren glücklich. Erst im April 1941 änderte sich daran etwas.
    »Na, sie ist schwanger«, sagte die Malerin von oben. »Er will das Baby nicht, wissen Sie, und sie will es natürlich, und Gott weiß, was jetzt passiert. Er kennt einen Arzt, der die Sache erledigen kann, wissen Sie, aber sie will davon nichts hören. Ich find’s ja gräßlich, daß sie so was durchmachen muß. Sie ist ja so zerbrechlich. Nachts höre ich sie da unten weinen.«
    Am 1. Juli starb Sean bei einem Autounfall ohne weitere Beteiligte (technisches Versagen), als er von einem Besuch bei seiner kranken Mutter im Staate New York zurück kam. Antha wurde hysterisch und mußte ins Krankenhaus gebracht werden. »Wir wußten einfach nicht, was wir mit ihr machen sollten«, berichtete

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