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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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aufgeregt«, sagte er. »Sie würde jetzt Schriftstellerin, sagte sie. Ein so süßes Mädchen. Und ich werde das nie vergessen – ich machte irgendeine Bemerkung über die Bombardierung von Pearl Harbour, und daß mein Sohn sich am Tag zuvor freiwillig gemeldet hatte und daß wir jetzt auch im Krieg wären. Und wissen Sie was? Sie hatte nichts davon gehört. Sie wußte rein gar nichts von der Bombardierung oder vom Krieg. Als ob sie in einem Traum lebte.«
    Das »süße Mädchen« starb am selben Nachmittag. Als der Briefträger gegen halb vier mit der Nachmittagspost wiederkam, kam über diesem Teil des Garden Districts ein Wolkenbruch hernieder. Es regnete »junge Hunde«. Trotzdem war im Garten der Mayfairs eine Menschenmenge versammelt, und der Leichenwagen stand mitten auf der Straße. Der Wind wehte »wie wild«. Mr. Bordreaux blieb da – trotz des Unwetters.
    »Miss Belle stand auf der Veranda und schluchzte. Miss Millie wollte mir erzählen, was passiert war, aber sie brachte kein Wort heraus. Dann kam Miss Nancy auf die Veranda und brüllte mir zu: ›Gehen Sie nur weiter, Mr. Bordreaux. Wir haben hier einen Todesfall. Gehen Sie nur weiter, damit Sie nicht naß werden.‹«
    Mr. Bordreaux begab sich auf die andere Straßenseite und stellte sich auf der Veranda eines Nachbarhauses unter. Die Haushälterin dort erzählte ihm durch das Fliegengitter, Antha Mayfair sei tot. Sie sei offenbar aus dem Dachfenster gefallen.
    Im Laufe der Jahre hat die Talamasca zahlreiche Geschichten über Anthas Tod gesammelt, aber was am Nachmittag des 10. Dezember 1941 wirklich passiert ist, wird vielleicht nie endgültig geklärt werden. Mr. Bordreaux war der letzte Außenstehende, der Antha gesehen und gesprochen hat. Die Kinderschwester, eine ältliche Frau namens Alice Flanagan, hatte sich an diesem Tag krank gemeldet.
    Nach den Polizeiakten ist Antha irgendwann gegen fünfzehn Uhr aus dem alten Dachzimmer von Julien Mayfair gesprungen oder gefallen. Carlottas Version der Geschichte, wie sie uns von zurück haltenden Äußerungen der Bestattungsfamilie Lonigan und den Priestern der Gemeinde bekannt ist, lautet wie folgt.
    Sie habe mit dem Mädchen über das Baby gestritten, denn Antha habe sich so gehen lassen, daß sie das Kind nicht einmal mehr gestillt habe.
    »Sie war in keiner Weise darauf vorbereitet, eine Mutter zu sein«, sagte Carlotta zu einem Polizisten. Antha habe Stunden damit vertan, Briefe und Geschichten und Gedichte zu schreiben, und Nancy und die anderen hätten an ihre Zimmertür hämmern müssen, um sie darauf aufmerksam zu machen, daß Deirdre in der Wiege weinte und die Flasche oder die Brust bekommen mußte.
    Während jenes letzten Streits sei Antha »hysterisch« geworden. Sie sei die zwei Treppen unters Dach hinaufgerannt und habe gekreischt, man solle sie in Ruhe lassen. Carlotta habe befürchtet, sie werde sich verletzen – was sie oft getan habe, fügte Carlotta hinzu -, und sei ihr deshalb in Juliens altes Zimmer gefolgt. Dort habe sie gesehen, daß Antha versucht habe, sich die Augen auszukratzen, und tatsächlich auch schon stark blutete.
    Als Carlotta versucht habe, sie zu überwältigen, habe Antha sich losgerissen und sei rückwärts durch das Fenster auf das Vordach gefallen. Dort sei sie anscheinend bis an den Rand gekrochen, und dann habe sie das Gleichgewicht verloren oder sei absichtlich gesprungen.
    Sie war augenblicklich tot, als sie zwei Stockwerke tiefer mit dem Kopf auf die Steinplatten schlug.
    Cortland geriet außer sich, als er vom Tod seiner Nichte hörte. Er fuhr auf der Stelle in die First Street. Seiner Frau in New York berichtete er später, Carlotta sei völlig aufgelöst gewesen. Der Priester sei bei ihr gewesen, ein Pater Kevin von der Redemptoristengemeinde. Carlotta habe immer wieder erklärt, niemand habe geahnt, wie zerbrechlich Antha gewesen sei. »Ich habe versucht, sie aufzuhalten!« rief Carlotta. »Was, um des Himmels willen, sollte ich denn tun?« Millie Dear und Belle waren in solcher Aufregung, daß sie nicht darüber reden konnten. Belle schien alles mit Stellas Tod durcheinander zu bringen. Nur Nancy hatte offen Unfreundliches zu sagen: Antha sei ihr Leben lang ein verwöhntes und verhätscheltes Kind gewesen und habe den Kopf voll alberner Flausen gehabt.
    Als Cortland sich mit Alice Flanagan, dem Kindermädchen, in Verbindung setzte, machte diese einen verängstigten Eindruck. Sie war schon älter und sah auch nicht mehr gut. Sie wisse nichts davon,

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