Hexenstunde
ernster Gefahr gerettet hatte. Ich berichtete von dem Rembrandt-Porträt Deborahs in Amsterdam, und ich erläuterte sodann, daß wir uns für Deborahs Nachkommen interessierten, weil sie anscheinend über echte übersinnliche Kräfte verfügten, die sich in jeder Generation manifestierten; es sei nun, schrieb ich, unser Wunsch, mit der Familie in Kontakt zu treten, um all denen, die sich dafür interessierten, unsere Unterlagen zugänglich zu machen.
Ich schrieb einen gleichlautenden Brief an Carlotta Mayfair und gab nach langem Überlegen die Adresse und die Telefonnummer meines Hotels an. Was hatte es schließlich für einen Sinn, mich hinter einem Postfach zu verstecken?
Ich fuhr zur First Street hinauf und warf den Brief in Carlottas Briefkasten; dann ging es hinaus nach Metairie, wo ich Cortlands Brief durch einen Schlitz in der Tür warf. Nachher fühlte ich mich von dunklen Ahnungen überwältigt; ich kehrte zwar ins Hotel zurück, ging aber nicht auf mein Zimmer. Statt dessen informierte ich die Rezeption, daß ich in der Bar zu finden sei; dort blieb ich den ganzen Abend, nippte genüßlich an einem guten Kentucky-Bourbon und machte mir allerlei Notizen über den ganzen Fall.
Die Bar war klein und ruhig; der Blick ging in einen bezaubernden Garten hinaus. Zwar saß ich mit dem Rücken zu diesem Garten – aus Gründen, die ich nicht ganz erklären kann, der Tür zum Foyer zugewandt -, aber ich fühlte mich dennoch wohl in dem kleinen Raum. Das Gefühl düsterer Vorahnung schmolz langsam dahin.
Gegen acht blickte ich von meinem Tagebuch auf und sah, daß jemand dicht vor meinem Tisch stand. Es war Cortland.
Ich hatte sein Gesicht schon auf zahllosen Fotografien studieren können. Aber keine davon kam mir jetzt in den Sinn, als unsere Blicke sich trafen. Dazu war die Ähnlichkeit zu frappierend: Der große, dunkelhaarige Mann, der da lächelnd auf mich herabblickte, war das Ebenbild Julien Mayfairs, der 1914 gestorben war. Alle Unterschiede erschienen unwichtig. Es war Julien – mit größeren Augen, dunklerem Haar und vielleicht einem großzügigeren Mund, aber gleichwohl Julien. Und ganz plötzlich wirkte das Lächeln grotesk. Wie eine Maske.
Gottlob ist es nicht Carlotta, dachte ich, und da sagte er: »Ich glaube nicht, daß Sie von meiner Cousine Carlotta hören werden. Aber ich finde, es wird Zeit, daß wir beide uns unterhalten.« Eine sehr angenehme, aber absolut unaufrichtige Stimme. Der Tonfall entschieden südstaatlich, aber auf einzigartige Weise von New Orleans. Das Schimmern in den dunklen Augen wirkte charmant und gleichzeitig bedrohlich.
Entweder haßte der Mann mich, oder er betrachtete mich als ein verdammtes Ärgernis. Er drehte sich um und winkte dem Barkeeper. »Noch einen Drink für Mr. Lightner, bitte, und einen Sherry für mich.«
Er setzte sich mir gegenüber an den kleinen Marmortisch, schlug die Beine seitlich übereinander. »Es stört Sie doch nicht, wenn ich rauche, Mr. Lightner? Vielen Dank.« Er zog ein wunderschönes goldenes Zigarettenetui aus der Tasche, klappte es auf und bot mir eine Zigarette an. Als ich ablehnte, zündete er sich selbst eine an. Wieder empfand ich sein wohlgelauntes Auftreten als völlig gekünstelt. Ich fragte mich, wie es auf einen normalen Menschen wirken mochte.
»Ich bin so froh, daß Sie gekommen sind, Mr. Mayfair«, sagte ich.
»Oh, nennen Sie mich doch Cortland«, sagte er. »Es gibt schließlich so viele, die Mr. Mayfair heißen.«
Ich spürte, daß Gefahr von ihm ausging, und bemühte mich ganz bewußt, meine Gedanken zu verbergen.
»Wenn Sie Aaron zu mir sagen«, antwortete ich, »werde ich Sie mit Vergnügen Cortland nennen.«
Er nickte knapp. Dann lächelte er der jungen Frau, die uns die Drinks brachte, beiläufig zu und nahm sofort einen Schluck von seinem Sherry.
Er war eine faszinierend attraktive Erscheinung. Ich dachte an Llewellyn und daran, wie er mir wenige Tage zuvor Julien beschrieben hatte. Aber alles das mußte ich jetzt restlos aus meinen Gedanken verbannen. Ich war in Gefahr. Das sagte mir mein Gefühl überdeutlich, und der gedämpfte Charme des Mannes war ein Teil davon. Er hielt sich für sehr attraktiv und sehr clever. Und beides stimmte.
Ich starrte auf meinen frischen Bourbon mit Wasser. Und plötzlich fiel mir auf, daß seine Hand nur einen Zollbreit von meinem Glas entfernt auf seinem goldenen Zigarettenetui ruhte. Da wußte ich, wußte ich ohne jeden Zweifel: Dieser Mann will mir schaden. Wie unerwartet.
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