Hexenstunde
andere wie dich, andere, die Geister sehen. Wir wissen, daß du leidest, und wir wollen dir helfen. Du bist nicht allein.‹«
Er musterte mich mit halboffenen Augen und einem Gesicht, das längst bar jeder Heuchelei war. Dann lehnte er sich zurück, wandte den Blick ab, tippte die Asche von seiner Zigarette und winkte nach einem neuen Drink.
»Warum trinken Sie nicht den Bourbon?« fragte ich. »Ich habe ihn nicht angerührt.« Wieder war ich selbst überrascht von mir. Aber ich unterließ es, darüber nachzudenken.
Er sah mich an. »Ich mag keinen Bourbon. Vielen Dank.«
»Was haben Sie hineingetan?« fragte ich.
Er zog sich in seine Gedanken zurück. Ein kleines bißchen elend wirkte er jetzt. Er sah zu, wie ihm sein Drink serviert wurde. Sherry wie beim erstenmal, in einem Kristallglas.
»Stimmt es«, sagte er und blickte auf, »was Sie in Ihrem Brief geschrieben haben – über Deborah Mayfairs Porträt in Amsterdam?«
Ich nickte. »Wir haben Porträts von Charlotte, Jeanne Louise, Angelique, Marie Claudette, Marguerite, Katherine, Mary Beth, Julien, Stella, Antha und Deirdre…«
Er schnitt mir mit einer plötzlichen, ungeduldigen Bewegung das Wort ab.
»Hören Sie«, sagte ich, »ich bin Deirdres wegen hier. Ich bin gekommen, weil sie dabei ist, den Verstand zu verlieren. Das Mädchen, mit dem ich in Texas gesprochen habe, steht am Rande eines Nervenzusammenbruchs.«
»Und glauben Sie, Sie haben ihr geholfen?«
»Nein, und das bedaure ich zutiefst. Wenn Sie mit uns nichts zu tun haben wollen, verstehe ich das. Warum sollten Sie auch? Aber wir können Deirdre helfen. Wirklich.«
Keine Antwort. Er trank seinen Sherry. Ich versuchte, die Sache von seinem Standpunkt aus zu betrachten, aber ich konnte es nicht. Ich hatte noch nie versucht, jemanden zu vergiften. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wer er wirklich war. Der Mann, den ich aus der Geschichte kannte, war nicht dieser hier.
»Hätte Ihr Vater Julien mit mir gesprochen?« fragte ich.
»Keinesfalls.« Er blickte auf, als erwache er aus einem tiefen Traum. Einen Moment lang sah er bestürzt aus. »Aber wissen Sie denn aus all Ihren Beobachtungen nicht«, fragte er, »daß er einer von ihnen war?« Wieder erschien er völlig ernst, und er sah mir forschend ins Gesicht, als wolle er sich vergewissern, daß es mir ebenfalls ernst sei.
»Und Sie sind nicht einer von ihnen?« fragte ich.
»Nein«, sagte er mit großem, ruhigem Nachdruck und schüttelte langsam den Kopf. »Eigentlich nicht. Nie!« Plötzlich sah er traurig aus, und das ließ ihn auch alt aussehen. »Hören Sie, bespitzeln Sie uns, wenn Sie wollen. Behandeln Sie uns wie die Königliche Familie… «
»Genau…«
»Sie sind lauter Historiker, höre ich von meinen Informanten in London. Historiker, Wissenschaftler, absolut harmlos, durch und durch achtbar…«
»Ich bin geehrt.«
»Aber lassen Sie meine Nichte in Ruhe. Meine Nichte hat jetzt eine Chance, glücklich zu werden. Diese Sache muß ein für allemal ein Ende finden, verstehen Sie? Sie muß. Vielleicht kann sie dafür sorgen.«
»Ist sie denn eine von ihnenl« fragte ich und ahmte seine Intonation nach.
»Natürlich nicht!« antwortete er. »Das ist es doch gerade! Es gibt keine mehr! Begreifen Sie das nicht? Ich denke, Sie haben uns studiert! Haben Sie den Zerfall der Macht nicht beobachtet? Stella war auch keine von ihnen. Die letzte war Mary Beth. Julien – mein Vater – und dann Mary Beth.«
»Das habe ich gesehen. Aber was ist mit Ihrem Geisterfreund? Wird er zulassen, daß es zu Ende geht?«
»Sie glauben an ihn?« Er legte den Kopf schräg und lächelte leise, und an seinen dunklen Augen zeigten sich Fältchen von einem Lachen, das nicht zu hören war. »Im Ernst, Mr. Lightner? Glauben Sie an Lasher?«
»Ich habe ihn gesehen«, sagte ich schlicht.
»Einbildung, Sir. Meine Nichte sagt, es war sehr dunkel in dem Garten.«
»Ach, ich bitte Sie – sind wir so weit gekommen, um jetzt auf diese Weise miteinander zu reden? Ich habe ihn gesehen, Cortland. Er hat gelächelt, als ich ihn sah. Er hat sich mir sehr stofflich und sehr lebendig gezeigt.«
Cortlands Lächeln wurde schmaler, ironischer. Er hob die Brauen und stieß einen leisen Seufzer aus. »Oh, Ihre Wortwahl würde ihm gefallen, Mr. Lightner.«
»Kann Deirdre ihn zwingen, zu verschwinden und sie in Ruhe zu lassen?«
»Natürlich kann sie das nicht. Aber sie kann ihn ignorieren. Sie kann ihr Leben leben, als wäre er nicht da. Antha konnte das
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