Hexenstunde
macht sich lustig über sie.«
Sie hatte angefangen zu weinen. Sie griff nach der Kette und riß mir den Smaragd aus der Hand, und dann schleuderte sie ihn, so weit sie konnte, durch das Unterholz. Ich hörte, wie er mit kurzem, dumpfem Plumpsen ins Wasser fiel. Sie zitterte heftig. »Er wird zurück kommen!« sagte sie. »Er wird zurück kommen! Er kommt immer zurück.«
»Vielleicht können Sie ihn austreiben«, sagte ich. »Sie und nur Sie allein.«
»O ja, das sagt sie auch, das hat sie immer gesagt. ›Schau ihn nicht an, sprich nicht mit ihm, laß dich nicht von ihm berühren!‹ Aber er kommt doch immer wieder. Er bittet mich nicht um Erlaubnis. Und…«
»Und?«
»Wenn ich einsam bin, wenn ich verzweifelt bin…«
»Dann ist er da.«
»Ja, dann ist er da.«
Das Mädchen litt Höllenqualen. Etwas mußte geschehen!
»Und wenn er kommt, Deirdre? Ich meine, wenn Sie sich nicht wehren, wenn Sie ihn kommen lassen, ihn sichtbar werden lassen. Was dann?«
Verdattert und verletzt sah sie mich an. »Sie wissen nicht, was Sie sagen!«
»Ich weiß, es bringt Sie um den Verstand, sich gegen ihn zu wehren. Was passiert, wenn Sie sich nicht wehren?«
»Dann sterbe ich«, sagte sie. »Und die Welt rings um mich herum stirbt, und es gibt nur noch ihn.« Sie fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund.
Wie lange lebt sie schon in diesem Elend, dachte ich. Und wie stark sie ist – und gleichzeitig so hilflos und so voller Angst.
»Ja, Mr. Lightner, das stimmt«, sagte sie. »Ich habe Angst. Aber ich werde nicht sterben. Ich werde gegen ihn kämpfen. Und ich werde gewinnen. Sie werden mich verlassen. Sie werden nie wieder in meine Nähe kommen. Und ich werde nie wieder seinen Namen aussprechen oder ihn ansehen oder ihn einladen, zu kommen. Und dann wird er mich auch verlassen. Er wird sich jemand anderen suchen, der ihn sehen will. Jemanden… zum Lieben.«
»Liebt er Sie, Deirdre?«
»Ja«, flüsterte sie. Es wurde dunkel. Ich konnte ihr Gesicht nicht mehr deutlich sehen.
»Was will er von Ihnen, Deirdre?« fragte ich.
»Sie wissen, was er will«, antwortete sie. »Er will mich, Mr. Lightner. Er will das gleiche wie Sie! Denn durch mich erwacht er erst zum Leben!«
Sie zog ein kleines, zerknülltes Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. »Er hat mir gesagt, daß Sie kommen«, bekannte sie. »Er hat etwas Merkwürdiges gesagt, etwas, woran ich mich nicht erinnern kann. Es klang wie ein Fluch. ›Ich werde das Fleisch essen und den Wein trinken und die Frau haben, wenn er längst im Grab verrottet.‹«
»Diese Worte habe ich schon einmal gehört«, sagte ich.
»Ich will, daß Sie fortgehen«, sagte sie. »Sie sind ein netter Mann. Ich mag Sie. Ich will nicht, daß er Ihnen etwas antut. Ich werde ihm sagen, er darf es nicht…« Sie brach verwirrt ab.
»Deirdre, ich glaube, ich kann Ihnen helfen…«
»Nein!«
»Ich kann Ihnen helfen, gegen ihn zu kämpfen, wenn das Ihr Entschluß ist. Ich kenne Leute in England, die…«
»Nein!«
Ich wartete und sagte schließlich leise: »Wenn Sie je meine Hilfe brauchen, rufen Sie mich an.« Sie antwortete nicht. Ich spürte, daß sie restlos erschöpft war. Der Verzweiflung nahe. Ich sagte ihr, wo ich in Denton wohnte und daß ich noch bis morgen dableiben würde; wenn ich bis dahin nichts von ihr hören sollte, würde ich abreisen. Ich fühlte mich wie ein absoluter Versager, aber ich konnte sie nicht noch mehr verletzen! Ich starrte in den wispernden Bambus. Es wurde dunkler und dunkler. Und es gab kein Licht in diesem wuchernden Garten.
»Aber Ihre Tante irrt sich, was uns betrifft«, sagte ich noch, ohne zu wissen, ob sie mir zuhörte. Dabei blickte ich hinauf zu dem Stück Himmel über uns, das jetzt ganz weiß geworden war. »Wir wollen Ihnen sagen, was wir wissen. Wir wollen Ihnen geben, was wir haben. Es ist wahr: Uns liegt an Ihnen, weil Sie ein besonderer Mensch sind; aber uns liegt sehr viel mehr an Ihnen als an ihm. Sie könnten in unser Haus in London kommen, und Sie könnten dort wohnen, solange Sie möchten. Wir würden Sie mit anderen bekanntmachen, die ähnliche Dinge gesehen und gegen sie gekämpft haben. Wir würden Ihnen helfen. Und wer weiß, vielleicht könnten wir ihn irgend wie zwingen, fortzugehen.«
Ich sah sie an und hatte Angst, den Schmerz in ihrem Gesicht zu sehen. Sie schaute mich an wie zuvor, mit traurigen Augen, in denen Tränen blinkten. Ihre Hände lagen schlaff in ihrem Schoß. Und da stand er, unmittelbar hinter ihr,
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