Hexenstunde
sie Ärztin werden wollte. 1979 machte sie die Abschlußprüfung als Klassenbeste, und mit zwanzig begann sie ihr Medizinstudium. In der neurologischen Forschung sah sie anscheinend ihre Lebensaufgabe.
Ihre akademischen Fortschritte in dieser Zeit galten als phänomenal. Zahlreiche Lehrer sagen, sie sei »die brillanteste Studentin gewesen, die ich je hatte«.
»Ihre Kommilitonen nennen sie ›Dr. Frankenstein‹, weil sie ständig von Gehirntransplantationen redet und davon, aus Einzelteilen neue Gehirne zusammenzusetzen. Aber der springende Punkt bei Rowan ist: Sie ist überaus menschlich. Man muß nicht befürchten, daß sie brillant, aber herzlos sein könnte.«
»Sie ist nicht brillant. Die Leute glauben das, aber es steckt mehr dahinter. Sie ist eine Art Mutant. Nein, im Ernst. Sie kann die Versuchstiere untersuchen und einem dann sagen, was passieren wird. Sie berührt sie mit den Händen, und dann sagt sie: ›Dieses Medikament wird nicht wirken.‹ Und ich sage Ihnen, was sie noch getan hat: Sie konnte diese kleinen Tiere heilen. Eine der älteren Ärztinnen hat mir erzählt, daß Rowan alle Experimente durch einander brachte, wenn sie nicht aufpaßte, weil sie ihr Talent zum Heilen benutzte. Ich glaube das sofort. Ich bin einmal mit ihr ausgegangen, und sie hat mich von nichts geheilt, aber Junge! – sie war verdammt heiß. Und das meine ich wörtlich. Es war, als ginge man mit einer Frau ins Bett, die Fieber hat. Und das sagt man ja auch über die Geistheiler, wissen Sie – über diejenigen wenigstens, die man untersucht hat. Man spürt eine Hitze, die aus ihren Händen kommt. Ich glaube das. Ich finde, sie hätte nicht Chirurgin werden sollen. Sie hätte Onkologin werden sollen. Sie hätte die Menschen wirklich heilen können. Chirurgie? Aufschneiden kann jeder.«
ROWANS HEILENDE KRÄFTE
Kaum hatte Rowan ihr klinisches Praktikum begonnen, verbreiteten sich die Geschichten über ihre heilenden und diagnostischen Fähigkeiten solchermaßen, daß unsere Ermittler sich aussuchen konnten, was sie davon notieren wollten.
Alles in allem ist Rowan die erste Mayfair-Hexe seit Marguerite Mayfair in Riverbend vor 1835, die als Heilerin beschrieben wird.
So gut wie jede Krankenschwester, die man über Rowan befragt hat, wußte irgendeine »phantastische« Geschichte zu erzählen. Rowan konnte jede Diagnose stellen. Rowan wußte einfach immer, was zu tun war. Rowan konnte Leute zusammenflicken, die aussahen, als gehörten sie in die Leichenhalle.
»Sie kann Blutungen stoppen. Ich hab’ gesehen, wie sie es tat. Sie faßte diesen Jungen beim Kopf und schaute auf seine Nase. ›Aufhören‹, flüsterte sie. Ich hab’s gehört. Und danach hat er einfach nicht mehr geblutet.«
Ihre skeptischeren Kollegen – unter ihnen etliche Ärzte und Ärztinnen – schreiben solche Erfolge ihrer »Suggestionskraft« zu. »Na, sie betreibt doch praktisch Voodoo, wissen Sie, wenn sie zu einem Patienten sagt: ›Und jetzt werden wir diesem Schmerz befehlen, aufzuhören!‹ Natürlich hört er dann auf. Sie hypnotisiert sie.«
Ältere, schwarze Krankenschwestern in der Klinik wissen, daß Rowan »die Gabe« besitzt, und manchmal bitten sie sie gerade heraus, ihnen »die Hände aufzulegen«, wenn sie an Arthritis oder einer ähnlichen Malaise leiden. Sie schwören auf Rowan.
»Sie schaut einem in die Augen, und dann sagt sie: ›Erzähl mir davon, sag mir, wo es weh tut.‹ Und dann reibt sie mit diesen Händen darüber, und es tut nicht mehr weh! Tatsache.«
Allen Berichten zufolge hat Rowan die Arbeit im Krankenhaus von Anfang an geliebt, und offenbar erlebte sie einen unmittelbaren Konflikt zwischen ihrer Hingabe zum Forschungslabor und der neuentdeckten Begeisterung für die Arbeit auf der Station.
Manches weist darauf hin, daß Rowans Entschluß, die Forschung zugunsten der Chirurgie aufzugeben, schwierig, wenn nicht gar traumatisch war. Im Herbst 1983 verbrachte sie offenbar beträchtliche Zeit bei einem Dr. Karl Lemle vom Keplinger Institute in San Francisco, der an einer Therapie der Parkinson-Krankheit arbeitete.
Gerüchte im Krankenhaus besagten, Lemle habe versucht, Rowan von der Universitätsklinik wegzulocken, und zwar mit einem extrem hohen Gehalt und idealen Arbeitsbedingungen; Rowan indessen fühlte sich noch nicht bereit dazu, die Notaufnahme oder den OP oder die Station hinter sich zu lassen.
Zur Weihnachtszeit 1983 scheint sie einen heftigen Streit mit Lemle gehabt zu haben; danach nahm sie seine
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