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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Ihrer Mutter‹, sagte sie, und dann blieb sie schweigend neben mir sitzen. Als ich sie später fragte, woher sie das wußte, sagte sie: ›Es ist mir einfach in den Kopf hineingeplatzt.‹ Ich glaube, das Kind wußte alles mögliche auf diese Weise. Wie einsam sie immer war!«
    Ein anderes Mal, als ein Mädchen drei Tage unentschuldigt fehlte und die Schulleitung sie nicht erreichen konnte, teilte Rowan dem Direktor in aller Ruhe mit, man müsse sich keine Sorgen machen. Die Großmutter des Mädchens sei gestorben, sagte sie, und die Familie sei in einem anderen Staat zur Beerdigung; man habe einfach vergessen, die Schule zu informieren. Es stellte sich heraus, daß es stimmte. Wieder konnte Rowan nicht erklären, woher sie es gewußt hatte. »Es kam mir in den Sinn«, sagte sie nur.
    1966, als Rowan acht Jahre alt war, benutzte sie diese telepathische Fähigkeit zum letztenmal, soweit wir wissen. In der vierten Klasse einer Privatschule in Pacific Heights teilte sie der Schulleiterin mit, daß ein anderes Mädchen ziemlich krank sei und besser zum Arzt ginge, aber sie wisse nicht, wie sie das jemandem begreiflich machen solle: Das Mädchen müsse sterben.
    Die Schulleiterin war entsetzt. Sie rief Rowans Mutter an und bestand darauf, daß man mit dem Kind zum Psychiater gehen müsse. Nur ein schwer gestörtes Kind würde »so etwas« sagen. Ellie versprach, mit Rowan zu sprechen. Rowan äußerte sich nicht weiter.
    Innerhalb einer Woche allerdings stellte sich heraus, daß das in Frage kommende Mädchen an einer seltenen Form von Knochenkrebs litt. Sie starb vor Ende des Schuljahres.
    Vielleicht war es Ellies Besorgnis, was Zwischenfälle dieser Art in Rowans Leben ein Ende bereitete. Ellies Freundinnen wußten genau Bescheid über die Vorkommnisse. »Ellie war fast hysterisch. Sie wollte, daß Rowan ein normales Kind ist. Sie sagte, sie wolle keine Tochter mit seltsamen Begabungen.«
    Graham hielt das Ganze für Zufall, sagt die Schulleiterin, und er schimpfte mächtig mit ihr, weil sie angerufen und Ellie gesagt hatte, daß das arme kleine Mädchen gestorben war.
    Zufall oder nicht, die ganze Angelegenheit scheint den Demonstrationen ihrer Fähigkeiten jedenfalls ein Ende gesetzt zu haben. Man kann mit Sicherheit annehmen, daß sie die kluge Entscheidung traf, als Gedankenleserin »in den Untergrund zu gehen«, oder daß sie ihre Fähigkeit sogar absichtlich so weit unterdrückte, daß sie praktisch nicht mehr existierte oder doch sehr schwach war. So sehr wir uns bemühen, von diesem Zeitpunkt an finden wir keinen Hinweis mehr auf ihre telepathische Begabung. Alle Erinnerungen an sie beziehen sich nur auf ihre ruhige, hochintelligente Art, auf ihre unerschöpfliche Energie und auf ihre Liebe zur Naturwissenschaft und Medizin.
    »Sie war doch das Mädchen auf der High-School, das die Käfer und die Steine sammelte und für alles die langen lateinischen Namen wußte.«
    »Beängstigend, absolut beängstigend«, sagte der Chemielehrer von der High-School. »Es hätte mich nicht überrascht, wenn sie an einem freien Wochenende die Wasserstoffbombe noch einmal erfunden hätte.«
    Der einzige Freund, den Rowan als Teenager hatte, war ebenfalls ein brillanter Einzelgänger. Er konnte jedoch anscheinend ihre Konkurrenz nicht ertragen. Als Rowan in Berkeley zugelassen wurde und er nicht, trennten sie sich verbittert. Freunde gaben dem Jungen die Schuld. Er ging später in den Osten und arbeitet heute in der naturwissenschaftlichen Forschung in New York.
    Anläßlich einer Museumseröffnung gelang es einem unserer Detektive, ihm »über den Weg zu laufen«, und er brachte das Gespräch auf Medien und Gedankenleser. Da fing der Mann an, von seiner alten High-School-Freundin zu erzählen, die solche übersinnlichen Talente besessen habe. Er war immer noch verbittert darüber. »Ich habe das Mädchen geliebt. Wirklich. Sie hieß Rowan Mayfair, und sie sah sehr ungewöhnlich aus. Nicht hübsch auf die übliche Art. Aber sie war unmöglich. Sie wußte immer, was ich dachte, bevor ich es selbst wußte. Sie wußte, wenn ich mit einer anderen ausgegangen war. Und sie war so verdammt ruhig dabei, daß es schon unheimlich war. Ich habe gehört, daß sie Neurochirurgin geworden ist. Da kann man’s mit der Angst kriegen. Was passiert denn, wenn ein Patient etwas Negatives über sie denkt, bevor er anästhesiert wird? Ob sie ihm diesen Gedanken dann aus dem Kopf schneidet?«
    Als Rowan 1976 nach Berkeley kam, wußte sie schon, daß

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