Hexenstunde
Ellen an einer tödlichen Krebserkrankung litt, geriet er in Panik. Juristenkollegen und Freunde haben detailliert und übereinstimmend beschrieben, daß er »völlig unfähig« war, mit Ellies Krankheit umzugehen. Er sprach nicht mit ihr über die Krankheit; er hörte nicht auf ihre Ärzte; er weigerte sich, ihr Krankenhauszimmer zu betreten. Er brachte seine Geliebte in einem Apartment in der Jackson Street unter, seiner Kanzlei in San Francisco gegenüber, und dort besuchte er sie oft bis zu dreimal täglich.
Unverzüglich ging er daran, einen Plan auszuarbeiten, um Ellie den gesamten Familienbesitz – der inzwischen zu einem beträchtlichen Vermögen angewachsen war – abzunehmen; er wollte versuchen, Ellie entmündigen zu lassen, um dann das Haus in Tiburon an seine Geliebte zu verkaufen, als er plötzlich – zwei Monate vor Ellie – einen Schlaganfall erlitt und selbst verstarb. Ellie erbte seinen gesamten Besitz.
Grahams letzte Geliebte, ein entzückendes Mannequin aus New York namens Karen Garfield, schüttete einem unserer Detektive bei einigen Cocktails ihr Herz aus. Er hatte ihr eine halbe Million hinterlassen, und das war in Ordnung, aber sie und Graham hatten ein gemeinsames Leben geplant – »die Jungferninseln, die Riviera, das ganze Zeugs«.
Karen selbst starb an einer Serie massiver Herzattacken; die erste erlitt sie eine Stunde nach ihrem Besuch in Grahams Haus in Tiburon, wo sie seiner Tochter Rowan »alles erklären« wollte. »Dieses Biest! Sie wollte nicht mal seine Sachen rausrücken! Ich wollte doch bloß ein paar Erinnerungsstücke. Aber sie sagte: ›Verlassen Sie das Haus meiner Mutter!‹«
Karen lebte nach diesem Besuch noch zwei Wochen – lange genug, um eine Menge unfreundliche Dinge über Rowan zu sagen; aber anscheinend hat sie nie einen Zusammenhang zwischen ihrer plötzlichen und unerklärlichen Herzschwäche und ihrem Besuch bei Rowan gesehen. Warum sollte sie auch?
Wir indessen sahen diesen Zusammenhang, wie die folgende Zusammenfassung zeigen wird.
Als Ellie starb, sagte Rowan zu Ellies engsten Freunden, sie habe nun ihre beste und einzige Freundin auf der Welt verloren. Das stimmte wahrscheinlich. Ellie Mayfair war ihr Leben lang ein warmherziger und etwas verletzlicher Mensch, geliebt von ihrer Tochter und von ihren zahlreichen Freunden. Diesen Freunden zufolge verströmte sie immer so etwas wie den Charme einer »Southern Belle«, obgleich sie in jeder Hinsicht eine sportliche, moderne Kalifornierin war, die mühelos auf zwanzig Jahre jünger geschätzt wurde. Tatsächlich war das jugendliche Aussehen möglicherweise ihre einzige Obsession, vom Wohlergehen ihrer Tochter Rowan einmal abgesehen.
Jenseits der Fünfzig unterzog sie sich zweimal kosmetischen Operationen (zur Gesichtsstraffung), sie frequentierte teure Schönheitssalons und färbte sich regelmäßig das Haar. Auf Bildern mit ihrem Mann, die ein Jahr vor ihrem Tod aufgenommen wurden, sieht sie jünger aus als er. Sie war ihm treu ergeben und völlig abhängig von ihm, und sie ignorierte seine Affären bewußt. Einer Freundin erzählte sie: »Er ist immer um sechs Uhr zum Essen zu Hause. Und er ist immer da, wenn ich das Licht ausmache.«
Tatsächlich waren seine Erfolge bei Frauen und die Wirkung, die er nach wie vor auf Ellie ausübte, nicht nur seinem Äußeren zuzuschreiben, sondern auch seiner großen Begeisterung für das Leben und der Mühelosigkeit, mit der er seine Zuneigung auf seine Umgebung verteilte.
Einer seiner lebenslangen Freunde, ein älterer Anwalt, erklärte es unserem Ermittler so: »Er konnte sich diese Affären leisten, weil er in seinen Aufmerksamkeiten für Ellie nie nachlässig wurde. Frauen hassen es, wenn man ihnen gegenüber plötzlich kalt wird. Behandelt man sie wie Königinnen, dann darf man außerhalb des Palastes auch die eine oder andere Konkubine haben.«
Das letzte Mal, daß ich Ellie persönlich gesehen habe, war im Januar 1988 anläßlich von Nancy Mayfairs Beerdigung in New Orleans; sie war drei- oder vierundsechzig, eine schöne Frau, etwa eins fünfundsechzig groß, mit dunkelgebräunter Haut und kohlschwarzem Haar. Ihre blauen Augen waren hinter einer weißgeränderten Sonnenbrille verborgen. Ihr modisches Baumwollkleid schmeichelte ihrer schlanken Figur, und sie hatte tatsächlich etwas vom Glamour einer Filmschauspielerin, eben jene kalifornische Patina. Ein halbes Jahr später war sie tot.
Als Ellie starb, erbte Rowan alles, einschließlich ihrer
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