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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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habe, und Aaron hat nicht angerufen, und ich muß Rowan sehen.
    Noch eine letzte Anmerkung: Wenn ich hier sitze und die Augen schließe und an die Visionen zurückdenke – das heißt, wenn ich das Gefühl heraufbeschwöre, denn die Fakten sind fort -, dann merke ich, daß ich immer noch glaube, die Leute, die ich dort gesehen habe, waren gut. Ich bin zu einem höheren Zweck zurückgeschickt worden. Und ich habe mich – aus freiem Willen – dafür entschieden, diesen Auftrag anzunehmen.
    Nur kann ich mit dem Gedanken an die Tür oder die Zahl dreizehn kein positives oder negatives Gefühl verbinden. Und das verstört mich; es verstört mich zutiefst. Aber ich habe weiterhin das Gefühl, daß die Leute, die ich in meinen Visionen gesehen habe, gut sind.
    Lasher, glaube ich, ist nicht gut. Das Beweismittel dafür, daß er mehrere dieser Frauen vernichtet hat, erscheint mir unumstößlich. Vielleicht hat er jeden vernichtet, der ihm je in den Weg getreten ist. Und die Frage ›Was für einen Plan hat dieses Wesen? ‹ ist immer noch die entscheidende. Dieses Geschöpf tut Dinge aus eigenem Antrieb. Aber warum nenne ich es ein Geschöpf? Wer hat es denn geschaffen? Dieselbe Person, die mich geschaffen hat? Und wer wäre das? frage ich mich. Sagen wir also: Wesen.
    Dieses Wesen ist böse.
    Warum hat er mir in der Kirche zugelächelt, als ich sechs war? Er kann doch nicht wollen, daß ich ihn berühre und seinen Plan entdecke? Oder doch?
    Was immer der Fall sein mag, ich habe das Gefühl, ich bin verrückt, bin außerstande, noch länger in diesem Zimmer zu bleiben, sehne mich verzweifelt danach, Rowan zu erreichen. Und sehne mich verzweifelt danach, alle diese Mosaiksteinchen zusammenzufügen, den Auftrag zu erfüllen, den ich da draußen erhalten habe, denn ich glaube, es war der bessere Teil meiner selbst, der diesen Auftrag angenommen hat.
    Ich wünschte, Aaron wäre hier. Der Vollständigkeit halber: Ich mag ihn. Ich mag sie alle. Ich verstehe, was sie hier tun. Ich verstehe es. Wir stellen uns alle nicht gern vor, daß wir beobachtet werden, daß man uns bespitzelt, Dossiers über uns anlegt. Aber ich verstehe es. Und Rowan wird es verstehen. Sie muß.
    Das Dokument, das dabei entstanden ist, ist zu einzigartig, zu wichtig. Und wenn ich daran denke, wie weit ich davon betroffen bin, wie tief ich seit dem Augenblick darin verwickelt bin, als das Wesen mich zum erstenmal durch den Eisenzaun hindurch anschaute – nun, Gott sei Dank, daß sie hier sind, daß sie »wachen«, wie sie sagen. Daß sie wissen, was sie wissen.
    Denn andernfalls… Rowan wird es verstehen. Rowan wird es vielleicht besser verstehen als ich, weil sie Dinge sehen wird, die ich nicht sehe. Und vielleicht ist es das, was geplant ist – aber jetzt fange ich schon wieder an…
    Aaron! Komm zurück!«

 
    28
     
     
    Sie blieb vor dem Eisentor stehen, als das Taxi langsam davon fuhr, und raschelnde Stille umhüllte sie. Unvorstellbar, daß irgendein Haus trostloser oder abweisender aussehen sollte als dieses hier. Das unbarmherzige Licht der Straßenlaterne strahlte wie der Vollmond durch die Zweige herab auf die rissigen Steinplatten und die zu beiden Seiten von totem Laub verwehten Marmorstufen, auf die hohen, dicken kanellierten Säulen mit der abblätternden weißen Farbe und den von der Trockenfäule schwarzen Stellen, auf die morschen Dielen der Veranda, die uneben bis zur offenen Tür führten, zu dem trüben, fahlen Lichtschein, der von drinnen herausfiel, und kaum merklich flackerte.
    Langsam wanderte ihr Blick zu den geschlossenen Fensterläden und weiter über den dicht überwucherten Garten. Ein dünner Regen hatte eingesetzt, als sie das Hotel verlassen hatte; jetzt war er fast so fein wie Nebel. Er ließ den Straßenasphalt glänzen, schwebte im funkelnden Laub über dem Zaun und überhauchte zart ihr Gesicht und ihre Schultern.
    Hier also hat meine Mutter ihr Leben zu Ende gelebt, dachte sie. Hier wurde ihre Mutter geboren und deren Mutter vor ihr. Dies ist das Haus, in dem Ellie an Stellas Sarg saß.
    Stand die Tür jetzt ihretwegen offen? War das Tor aufgestoßen worden, um sie willkommen zu heißen? Der mächtige Holzrahmen der Tür sah aus wie ein riesenhaftes Schlüsselloch, ausladend unten und sich dann nach oben hin verjüngend. Wo hatte sie nur die gleiche, wie ein Schlüsselloch geformte Tür schon gesehen? Als Relief auf dem Grabmal auf dem Lafayette-Friedhof. Welche Ironie – denn dieses Haus war für ihre Mutter ein

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